dasmuffin
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5.Kapitel
Castello lief unruhig über die Koppel. Der braune Wallach hob den Kopf und lauschte. Nur ich stand am Zaun und beobachtete das kleine Mädchen, das langsam auf das Tier zuschritt. Sie war für ihr Alter sehr weit. Hatte Erfahrungen mit Pferden und wusste wie man mit ihnen zu reden hatte, so dass sie einem auch zuhörten. Castello lauschte noch immer, als sie mit dem Halfter langsam auf ihn zuschritt, aber er blieb skeptisch.

Er war eines von den Tieren, die sich nur schwer einfangen ließen, und obwohl der Beinbruch ihn behinderte, war er um einiges schneller als das kleine Mädchen. Zufrieden beobachtete ich die Situation. Der Bruch war gut verheilt und nur eine große Bandage am linken Knöchel erinnerte an den schrecklichen Unfall. Ich verdrängte diese Gedanken und ließ mich auf dem Zaun nieder.
„Er macht Fortschritte“, rief Tristan aus der Ferne zu mir herüber. Die Sonne blendete mich, als ich zu ihm hinüber sah. Er hatte wohl schon eine ganze Weile auf der anderen Seite des Zaunes gestanden und das Szenario beobachtete. Ich begutachtete Castello, der das Halfter in der Hand des Mädchens kurz beschnupperte und ihr dann breitwillig den Kopf entgegen streckte.
„Ja“, rief ich Tristan schlicht zu. Ich blickte auf meine Armbanduhr und sprang vom Zaun herunter - die nächste Stunde würde bald beginnen und ich wollte nicht zu spät kommen, egal wie gerne ich hier auch saß um Castello bei seinen Fortschritten zuzusehen.

„Ich muss zurück“, rief ich beiden zu und winkte ein letztes Mal, ehe ich mich auf den Weg zurück machte.
„Leila, warte.“
Ich wandte mich um und sah wie Tristan mich mit schnellem Schritt einholte. Er erreichte mich und lief eine Weile stumm neben mir her.
„Ich wollte dich kurz etwas fragen“, sagte er plötzlich und blickte auf mich hinab. Ich erwiderte den Blick nicht, denn schon oft hatte ich diesen Blick aus seinen Augen gesehen.
Die letzten Wochen hatten wir viel Zeit miteinander verbracht. Ich hatte ihm und seiner Nichte geholfen mit Castello fertig zu werden, und hatte ihm gezeigt wie man sich Pferden gegenüber verhalten sollte. Doch je länger der Kontakt währte, umso unwohler fühlte ich mich neben seiner starken Persönlichkeit. Tristan wusste immer etwas Richtiges zu sagen um auch in der schlimmste Situation noch etwas Positives zu finden. Es war, als sprächen tausend Philosophen durch seinen Mund, und trotzdem hatte ich das Gefühl er wüsste es nicht zu schätzen welch eine Gabe ihm dadurch gegeben war. Irgendetwas verheimlichte er mir und zunehmend erdrückte er mich.

„Ja?“, fragte ich unsicher und sah stur auf den steinigen Weg vor mir. Der Kies knirschte unter unseren Füßen und schaffte eine angenehme Atmosphäre.
„Es kommt vielleicht etwas plötzlich, und wenn du nicht willst wäre das auch o.k.“, sagte er und rieb sich nervös über seinen Hinterkopf. Ich beobachtete die Geste kurz und wandte meinen Blick sogleich wieder ab.
„Wenn ich was nicht will?“, fragte ich ihn. Er seufzte und lief einen Schritt schneller als ich, um mich zu überholen. Dann blieb er abrupt vor mir stehen und zwang mich damit ebenfalls stehen zu bleiben. In diesem Moment fing mein Herz an zu schlagen wie nie zuvor. Er ergriff mit beiden Händen meine Oberarme, was mich förmlich dazu nötigte ihn anzusehen. Ich schluckte und sah auf. Nun da der Kies nicht mehr knirschte war es totenstill um uns herum.

„Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hättest, dass wir beide mal was zusammen unternehmen. Simcity hat viele Bars und du hast sicherlich noch nicht alle gesehen. Wir könnten uns aber auch einfach etwas bei McDonalds holen und uns in einen Park setzten. Oder wir gehen ins Kino oder so, was immer du auch willst.“ Tristan wirkte leicht nervös und es schien so, als wolle er es schnellstmöglich loswerden, bevor ihn der Mut verlässt.
Ich hätte vielleicht „Ja“ sagen sollen. Vermutlich schreit ihr gerade in diesem Moment nach einem „Ja“, denn wie konnte eine einzige Frau nur so blöd sein und bei Tristan nicht „Ja“ sagen. Er sah gut aus, war gebildet, wusste was er vom Leben wollte und interessierte sich sogar für das was ich tat. Was hätte ich Besseres zu erwarten? Aber da war Etwas was ich erwartete - und das lag nicht in seiner Hand. Er schien genau das zu verkörpern, was mich nicht erreichen konnte. Diese absolute Perfektheit. Und in diesem Moment tat ich das, was ich vielleicht für immer bereuen würde.
„Tristan, ich denke nicht, dass das so eine gute Idee ist“, sagte ich leise und senkte den Blick.

Sein Griff um meine Arme schnürte mir fast die Luft ab, obwohl er hauchzart war und mich kaum zu berühren schien.
„Ach, Leila. Spielst du etwa die Unnahbare?“, lachte er und ließ mich los. Ich trat wieder den Weg zurück zum Stall an und er lief weiter neben mir her.
„Sicherlich nicht“, gab ich nur kurz von mir.
„Warum willst du dann kein Treffen?“, fragte er und blickte mit einem Grinsen auf mich hinab. In diesem Moment erschien er mir so unglaublich anders: überheblich, arrogant und einfach nur unsympathisch.
„Denkst du, deine Anziehungskraft wirkt auf alle Frauen unwiderstehlich?“, fragte ich stur.
„Nein, nur bei dir“, grinste er und kam meinen Schritten bedrohlich nahe. Ich betete so sehr darum, dass der Stall endlich in Sichtweite kommen würde, denn ich fühlte mich zunehmend unwohler in meiner Haut. Dann konnte ich das tun, was in solch einer Situation mit Sicherheit das Beste war: weglaufen.

„Du bist unmöglich“, fluchte ich und war mir nicht sicher, ob ich wirklich ihn damit meinte. Mit festen Schritten stapfte ich auf den Stall zu und spürte wie Tristan in meinem Rücken stehen geblieben war.
„Du kannst mir nicht davon laufen“, lachte er mir hinterher, doch ich ignorierte es und stapfte wütend durch das große Tor.
*
Am Abend machte ich mich auf den Weg zu Tina. Wir hatten beschlossen uns einen gemütlichen Tag vor dem Fernseher zu machen: ohne Männer, nur wir beide. Der Abend war lau und trotzdem fror ich, als ich mit dem Auto durch Simcitys Innenstadt fuhr. Die Sonne ging gerade unter und wenn der Himmel nicht bewölkt gewesen wäre, so hätte man den lila-roten Sonnenuntergang strahlen sehen können. Aber ich hätte sowieso nicht hingesehen, auch wenn es so gewesen wäre. Ich starrte nur auf mein Lenkrad und trommelte nervös auf dem Plastik herum.

Ich hätte mir in den Hintern beißen können, wenn ich so gelenkig gewesen wäre. Es war zum verrückt werden. Ich fluchte doch jeden Abend, dass ich es satt hatte als alte Jungfer zu sterben, und dann macht mir dieser unglaubliche Mann den Vorschlag mit ihm auszugehen und ich lehne ab. Ich wusste nicht einmal den Grund dafür. Aber Tristan schien irgendwie nicht derjenige zu sein, der sich lange mit ein und derselben Frau aufhielt. Er spielte nur und ich würde verlieren. Ganz sicher. Und wenn das so war, dann war er einfach nicht der Richtige. Dann würde er nicht derjenige werden, der mir zeigen könnte was es heißt eine Frau zu sein.
Ich trat energisch aufs Gaspedal und sauste weiter zu Tina - sie würde mich aufmuntern. Sie würde mir Geschichten von der großen Liebe erzählen und mich glauben lassen, dass ich nicht umsonst warten würde. Das tat sie immer. Denn Tina war der festen Überzeugung, dass sie ihre große Liebe bereits gefunden hatte. Sie und Patrick passten wirklich umwerfend zusammen. Beide ergänzten sich zu einem Ganzen, und sie zusammen zu erleben war die größte Inspiration für mein Vorhaben Jungfrau zu bleiben.

Tina empfing mich in ihrer typisch lockeren Art und nur im Jogginganzug. Sie strahlte schon von Weitem und wedelte wie eine Verrückte mit einer Videokassette.
„Leila, das ist A Knights Tale“, rief sie mir zu und deutete auf die Videokassette. Es verwunderte mich nicht, dass sie wieder mal einen Liebesfilm ausgesucht hatte. Aber um ehrlich zu sein gehörte ich genau zu dieser Art Frau, die sich nur allzu gerne dazu hinreißen ließ solche Filme anzuschauen.
„Ist Patrick da?“, fragte ich dennoch zuerst. Er sollte nicht sehen, dass ich auch zu dieser Sorte Frau gehörte, die eigentlich in Jeder steckt.

„Nein, er macht heute seinen monatlichen Saufabend“, zwinkerte Tina mir zu. Ich schmunzelte und trat in die gemütliche Wohnung ein. Beide wohnten beschaulich und etwas abseits von Simcity. Es kostete mich oft Kraft durch die ganze Innenstadt zu fahren, nur um bei den Beiden anzukommen.
In der Wohnung roch es nach frischem Popcorn und dem typischen Vanilleduft, den man hier immer wahrnehmen konnte. Tina legte großen Wert auf die Sauberkeit der kleinen Wohnung, und oft stand in jedem Zimmer einer von diesen Lufterfrischern, die einem oftmals die Tränen in die Augen trieben, weil sie einen so starken Duft verströmten. Was aber das Bemerkenswerteste war: dass sie ihren Putzfimmel mit Patrick teilte. So kam es, dass beide eigentlich nie etwas aufzuräumen hatten.
„War viel Verkehr?“, rief mir Tina aus der Küche zu aus welcher sie das Popcorn holte.
„Es ging eigentlich, weniger als sonst immer“, antwortete ich. Lächelnd kam sie aus der Küche.
„Also immer noch um Einiges zuviel“
„Stimmt“, gab ich grinsend zu. Ich nahm ihr das Popcorn ab und stellte es auf dem kleinen, eckigen Couchtisch ab.
Wir sahen uns den Film ganze zwanzig Minuten an und fingen dann an über Gott und die Welt zu philosophieren. Es war eigentlich das was wir jedes Mal taten und ich konnte mich an kein einziges Mal erinnern, wo wir es tatsächlich geschafft hatten einen Film zu Ende zu sehen.

„Tristan, hat’s getan“, sagte ich nach kurzer Zeit und spürte wie mir eine gewisse Röte ins Gesicht stieg und das, obwohl ich mich den ganzen Abend schon darauf gefreut hatte Tina mein Herz auszuschütten.
„Was hat er getan?“, fragte sie irritiert. Ich schob mir eine Handvoll Popcorn in den Mund ehe ich weiterfuhr.
„Na, das was ihr immer dachtet was er irgendwann tun wird“
„Er hat dich um ein Date gebeten?“, fragte sie freudestrahlend und ich war mir sicher, dass dieses Gesicht nicht anhalten würde, wenn sie erst die Wahrheit wusste.
„Ja, und ich habe absolut nicht darauf gewartet“, schmunzelte ich.
„Und wann trefft ihr euch?“ Tina war ganz aufgeregt.

„Gar nicht“, sagte ich leise und blickte sie kurz an, starrte dann aber wieder auf den Fernseher. Ich erwartete nicht, dass sie mich verstehen würde, oder dass Stella das tat. Aber ich wollte nicht für verrückt erklärt werden, nur weil ich das Angebot von einem unglaublich tollen Mann ablehnte, der sich nichts zu Schulden kommen ließ und so verdammt gut aussah. Verdammt, ich war verrückt!
„Wie? Du hast doch nicht etwa abgelehnt?“ fragte sie und runzelte die Stirn, während sie mich fixierte.
„Ich habe nie behauptet, dass ich jemals zusagen würde“, betonte ich streng und hielt ihrem Blick stand. Tina schüttelte verständnislos den Kopf.
„Das ist doch kein Eheversprechen, Leila.“
„Aber es hat nun mal nicht gefunkt, was sollten wir damit erzwingen?“, fragte ich und blickte hinaus auf die dunkle Straße. Es regnete noch immer in Strömen.
„Das scheint Tristan aber anders zu sehen“, sagte sie ernst und fuhr sich durch die Haare. Ich biss mir unruhig auf meine Lippe - ein Zeichen dafür, dass ich mich mehr als unwohl fühlte.

Unglaublich unwohl. Warum hatte ich nur über das Thema reden wollen, wenn es gar keinen Sinn ergab?
„Aber ich sehe es nicht anders, und nur weil er euch gefällt muss ich ihm nicht gleich an den Hals springen“, gab ich unfreundlich zurück - vielleicht ein Stück zu unfreundlich, denn Tina hob abwehrend ihre Hände.
„Schon gut, es ist schließlich dein Leben. Mach was du willst“. Ich dachte sie wäre fertig, doch stattdessen streckte sie mir plötzlich ihren Zeigefinger mitten ins Gesicht: „Aber lass´ dir eins gesagt sein Leila Hatherley, du bekommst nicht oft so eine Chance und selbst wenn du nicht an ihm interessiert bist, hättest du das Angebot annehmen sollen, denn es hat ihn sicherlich viel Mut gekostet.“
Sie hatte vermutlich Recht, so wie sie immer Recht hatte, aber hätte ich gegen meine Prinzipien handeln sollen? Hätte ich sein Angebot annehmen sollen, obwohl mir der Sinn dieses Dates nicht einleuchtete? Vielleicht hatte ich auch nur unglaubliche Angst. Angst, dass ich meine Erwartungen und Hoffnungen in ihn zu hoch stecken und im Nachhinein nur auf der Schnauze liegen würde.

„Möglich“, gab ich nur nachdenklich von mir und sah wieder aus dem Fenster. Dann seufzte ich tief und fuhr mir durchs Gesicht. Ich bekam seinen Anblick nicht mehr aus meinem Kopf, dieses ständige, verschmitzte Lächeln. Gerade, wenn ich über Tristan sprach, sah ich ihn bildlich vor mir stehen.
„Wohl eher unmöglich“, grinste Tina und plötzlich war sie wieder da. Die Stimmung die ich haben wollte. Die ich genau jetzt brauchte und die eine gute Freundin ausmacht. Und so lachten wir herzhaft über mich und ich fand all das plötzlich nicht mehr kompliziert und schwierig, sondern einfach nur lächerlich.