Fotostory Tiefer als der Schmerz ♦ abgeschlossen ♦

Kapitel 88
Beschützerinstinkte



Der Abend mit Monika war für Tessa eine echte Erfrischung gewesen. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie das Gefühl, es sei zwischen ihr und ihrer Freundin fast wieder wie in alten Zeiten. Sie berichtete Monika von ihren Zweifeln nach dem Praktikum, und auch diese sprach ihr Mut zu – sie solle sich durch diese eine Erfahrung nicht entmutigen lassen. Außerdem, so hatte Monika ihr gesagt, lege sie sich durch ihr Studium ja nicht zwingend auf diesen einen Beruf fest. Am folgenden Morgen fühlte Tessa sich erleichterter und machte sich freudig auf den Weg zu Jess. Sie traf ihn im Garten der Villa, wo er sie zur Begrüßung küsste und dann lächelnd ansah.
„Du scheinst heute guter Laune zu sein“, bemerkte er. „Ist etwas passiert?“

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„Ich hatte gestern einen schönen Abend mit Moni“, erklärte diese und Jess lächelte verständnisvoll.
„Das ist gut. Habt ihr euch wieder ein bisschen versöhnt?“
Die beiden nahmen auf einer der Bänke im hinteren Teil des Gartens Platz. Es war wieder einmal recht still, nur ein oder zwei Bewohner der Villa verrichteten hier und da ihren Gartendienst und gossen die Blumen, ein paar wenige genossen auch den warmen Herbsttag und schwammen einige Runden im Pool.
Tessa nickte und erzählte Jess in groben Zügen, was am Vortag vorgefallen war.
„Das ist schön“, erklärte dieser, als sie geendet hatte. „Es wurde auch Zeit, dass ihr beiden euch aussprecht. Und ich habe auch gute Neuigkeiten für dich.“
Er lächelte.

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„Was denn?“, Tessa sah ihn neugierig an.
„Mein Entlassungstermin steht nun fest“, erwiderte er. „In zwei Wochen ist es soweit.“
Tessa riss die Augen auf. „Jess! Das ist ja großartig! So bald schon!“
Jess nickte. „Ja, wie unwirklich, nicht wahr? Wir werden uns nur noch ein einziges Wochenende hier treffen, dann… gehört das alles hier wohl der Vergangenheit an.“
Er ließ seinen Blick halb wehmütig durch den Garten schweifen.
Tessa griff nach seiner Hand. „Hast du immer noch solche Angst?“, fragte sie leise.
Jess schüttelte zu ihrer Überraschung den Kopf. „Nein, nicht mehr. Ich habe diese Woche lange und oft mit meinen Therapeuten gesprochen, und die Angst ist nicht mehr so groß. Natürlich wird es nicht einfach werden, aber ich kann es schaffen, wenn ich will. Und ich hab ja auch noch dich.“
Er sah sie liebevoll an. Tessa lächelte.

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„Ich bin mir nun auch klarer darüber, wie es danach weitergehen soll“, fuhr Jess fort. „Ich habe mich erkundigt, es gibt gute Abendkurse, ich könnte da sogar mein Abitur nachmachen, falls ich es will. Aber erstmal reicht mit der Realschulabschluss. Mein Therapeut sagt aber, ich soll erstmal ein-zwei Monate warten, damit nicht alles zu viel wird. Einen Job werde ich auch schon irgendwie finden… ich muss eben etwas Geduld haben. Aber es gehört wohl dazu, auch einmal Hilfe anzunehmen. Anders ist es nicht zu schaffen.“ Er sagte dies nicht ohne einen kleinen Seufzer.
Tessa griff nach seiner Hand und drückte sie stolz.
„Das ist toll, Jess. Genauso solltest du es sehen. Vielleicht wird ja alles einfacher gehen als wir beiden denken. Und wenn nicht, schaffen wir das auch. Und du hast ja sicher auch noch therapeutische Hilfe, wenn du nicht mehr hier bist, oder?“
Jess nickte. „Natürlich, wir kümmern uns in den zwei Wochen jetzt darum, dass ich einen ambulanten Platz in einer Therapie bekomme.“

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„Das ist gut“, erwiderte Tessa. „Ganz ohne Hilfe wäre es sicher nicht machbar.“
„Nein, das glaube ich auch nicht“, stimmte Jess ihr zu und sah sie an. „Hast du den Angst?“
„Ich?“, sah Tessa ihn erstaunt an. „Wieso sollte ich Angst haben? Ich freue mich einfach wahnsinnig.“
„Aber es wird auch für dich nicht ganz einfach werden. Wir werden dicht aufeinander leben. Ich habe mich manchmal gefragt, ob das so gut ist. Das hatten wir noch nie. Wir haben uns im vergangenen halben Jahr zwar sehr regelmäßig, aber doch nur ein- oder zweimal in der Woche gesehen. Und vorher fast ein Jahr lang gar nicht…“
„Wir schaffen das schon“, wischte Tessa seine Bedenken weg. Als sie ihn skeptisch drein blicken sah, erwiderte sie hilflos: „Hör mal, Jess, ich bin eben einfach optimistisch. Was soll ich denn sonst sagen? Wir können uns im Moment nicht anders darauf vorbereiten… wir werden einfach schauen müssen, ob es klappt, wie es klappt… und dann reagieren…“

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Sie sah ihn unsicher an. „Oder denkst du das nicht?“
Jess zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Ich hoffe, du bist dir klar darüber, dass das alles nicht einfach werden wird…“
„Hör mal, Jess, ich bin ja nicht blöd“, sagte Tessa leicht angesäuert. „Ich mache mir natürlich auch meine Gedanken. Und ja, ich bin mir absolut klar darüber, dass es nicht einfach werden wird. Aber es war nie einfach mit dir. Mit uns, meine ich…“
Jess sah sie ernst an. „Du hast recht. Du hast sehr viel durch gemacht in all der Zeit.“
Tessa winkte ab, doch Jess nahm ihre Hände und sagte ernst: „Tu das nicht so ab. Auch dein Leid ist wichtig. Wieso willst du das alles immer vor mir verstecken?“

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Tessa sah ihn verunsichert an. „Findest du, dass ich das tu?“
Jess nickte. „Allemal. Du redest so selten über deine Gefühle.“ Er lachte leise. „Dabei bist du doch eine Frau!“
Tessa lächelte ebenfalls.
„Naja, du hast vielleicht recht…“, sagte sie und dachte daran, dass sie sich ihm vor einer Woche auch nicht anvertraut hatte. „Ich hatte gerade in den letzten Wochen einige Sorgen.“
Jess wurde ernst. „Sorgen? Was für Sorgen? Wieso hast du nichts davon gesagt?“
Tessa zuckte hilflos mit den Schultern. „Du hattest selbst so viel um die Ohren… ich wollte dich nicht noch zusätzlich belasten.“
Jess seufzte, ließ ihre Hände los und fuhr sich durchs Haar. „Genau das meine ich, Tessa!“, sagte er dann und sah sie an. „Das geht so nicht! Verstehst du, du kannst mich nicht immer beschützen wollen. Das funktioniert nicht.“

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Tessa seufzte und wand sich auf der Bank hin und her.
„Jess, das liegt nicht unbedingt in meinem Sinne. Ich meine… ich mach das nicht bewusst.“
„Aber du tust es“, erwiderte er ernst. „Du musst endlich lernen, das ein wenig zurück zu schrauben. Zum einen bin ich ein Mann, und der hat nun einmal Beschützerinstinkte. Es gefällt mir nicht, dass du mich immer ein wenig bemuttern möchtest.“
„Aber Jess… du warst immer derjenige von uns beiden, der mehr Hilfe brauchte“, sagte sie verteidigend.
„Ich weiß nicht“, wandte Jess ein. „Das ist Ansichtssache. Du hast auch sehr, sehr viel mitgemacht. Gut, ich hätte dir in vielen Situationen nicht helfen können, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Aber das ist es, was sich nun ändern soll und kann. Ich bin für dich da, Tessa. Begreif das endlich. Ich bin kein rohes Ei, das man schützen und verhätscheln muss.“

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Tessa seufzte. „Ich weiß, ich weiß es ja…“
„Aber du hast es noch nicht begriffen“, erwiderte Jess sanfter. „Woher kommt das nur, dass du dich immer hinten anstellst, mh?“
Tessa zuckte mit den Schultern. „Irgendwie bin ich es nicht gewöhnt, dass jemand für mich da ist“, sagte sie dann nach einer Weile schwerfällig. Sie sah Jess an, der etwas überrascht wirkte, sie aber dennoch aufmerksam betrachtete.
„Nun, das wirkt wohl etwas seltsam für dich“, fuhr sie fort. „Bin ich doch der Inbegriff eines Mädchens, das ein behütetes Leben hatte, mh?“ Ihre Stimme klang gegen ihren Willen etwas bitter. „In vielerlei Hinsicht mag das so sein. Ich hatte eigentlich immer alles, was ich brauchte. Kleider, Spielsachen, Essen, ein warmes Bett… mir hat es nie so wirklich an etwas gefehlt.“

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„Aber?“, fragte Jess vorsichtig. „Nahrung ist nicht alles, was ein Mensch braucht…“
„Tja, das ist es wohl“, erwiderte Tessa. „Irgendwie… weißt du, Jess, es war nie jemand da. Außer Trudy vielleicht. Ich meine…. meine Eltern waren fast immer unterwegs und hatten nie Zeit und Nerven, sich mit mir zu beschäftigen. Mein Vater hat registriert, ob ich gute oder schlechte Noten hatte… ich hab dann immer recht fleissig gelernt, weil ich wusste, dass ich so seine Aufmerksamkeit bekomme. Aber irgendwann war das auch selbstverständlich. Ich meine…“, sie seufzte ,“ es ist nicht so, dass sie mich völlig vernachlässigt haben. Aber irgendwie… irgendwie hätte ich mir mehr gewünscht.“
Sie schwieg einen Moment und die Erinnerungen an früher stiegen in ihr auf.
„Wenn sich jemand um mich kümmerte, dann Tru“, sagte sie dann noch einmal. „Ich erinnere mich an manchen Sonntag, als mein Vater Zeitung las und seine Berichte studierte, meine Mutter vertiefte sich in ihrem Kosmetikbüchern und Tru setzte sich zu mir und las mir vor. Das waren seltene Glücksstunden, denn sie war ja nicht immer bei uns…“

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„Oder wie oft kam ich von der Schule nach Hause und musste alleine essen. Tru war zwar meistens da, aber ich hätte mir doch gewünscht, mit meinen Eltern zu essen. Gerade als ich ganz klein war, ich hätte gerne so wie die anderen in der Schule meinen Eltern erzählt, was passiert war in der Schule. Elternabende haben die beiden nie wahr genommen, und auch Elternsprechtage waren für sie nur interessant, wenn ich in einem Fach eben doch einmal nicht so gut war… was fast nie der Fall gewesen ist. Oder Schulausflüge. Ich habe die Kinder immer so beneidet, deren Eltern da freiwillig mitgekommen sind!“
Tessa seufzte und starrte vor sich hin, während sie sich an jene Zeiten erinnerte.

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Sie zuckte mit den Schultern und sah Jess schließlich wieder an.
„Das alles muss für dich ziemlich bescheuert wirken“, sagte sie dann. „Du hattest ja gar keine Eltern mehr und hättest dir sicher welche gewünscht, die nur ab und an da waren…“
Doch Jess unterbrach sie. „He, Tessa! Du machst es schon wieder“, sagte er ernst und drückte ihre Hände. „Du wertest unsere Schicksale und Leben gegeneinander, aber so funktioniert das nicht.“ Er sah sie zärtlich an. „Ich finde, was du da erzählst, hört sich durchaus traurig und einsam an. Und es tut mir weh, mir vorzustellen, wie schwierig es für dich gewesen sein muss.“

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Tessa sah ihn verwirrt an. „Aber Jess… was du durchgemacht hast, war doch viel schlimmer…
„Tessa!“, rief er. „Nun hör damit auf! Das sind deine Wertmaßstäbe, die sind nicht universal gültig. Jeder Mensch hat sein eigenes Schicksal. Wer kann mir sagen, dass ich unglücklicher war als du? Und wieso sollten wir das überhaupt werten? Fakt ist, du warst unglücklich. Du warst einsam, und deine Eltern waren oft nicht da, wenn du sie gebraucht hättest. Das ist traurig, das prägt. Und das solltest du nicht so wegreden und verdrängen.“
Tessa starrte vor sich hin.
„Du klingst schon wie ein Psychologe“, murmelte sie dann.

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Jess lächelte. „Nun ja, ich hatte einiges mit dieser Gattung zu tun in den letzten Monaten. Aber nun einmal ernsthaft. Ich denke wirklich, du solltest deine eigenen Gefühle und Probleme nicht so runterwerten, nur weil sie auf der offensichtlichen und gesellschaftlichen Scala wertloser und unbedeutender wirken als meine oder die eines anderen. Ich denke, so funktioniert das nicht. Selbst ich habe vermutlich noch ein tolles Leben, wenn ich mich mit einem Kind aus der dritten Welt vergleichen würde.“
„Was ist das denn für ein unsinniger Vergleich“, schnaubte Tessa.
„Das ist ein Vergleich, den man ziehen kann, wenn man sein eigenes Leid herunter werten möchte“, erklärte Jess. „Ich glaube nämlich, dass es immer jemanden gibt, dem es schlechter geht als einem selbst. Man sollte danach nicht werten oder suchen. Dir geht es in deiner ganz eigenen Situation schlecht, und damit sollte einfach alles gesagt sein. Und alles gleich gelten. Wir leben nun einmal unser eigenes Leben, nicht das eines anderen.“

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Tessa sah ihn nachdenklich an.
„Das wirkt irgendwie befremdlich auf mich“, sagte sie dann. „Es ist doch so offensichtlich, dass es mir im Verhältnis zu anderen gut geht…“
„Lass diese blöde Verhältnismäßigkeit aus dem Spiel“, erwiderte Jess. Er sah sie ernst an.
„Hör mal, Tessa. Es mag sein, dass früher niemand danach gefragt hat, wie es dir geht. Was dich bewegt. Und dass du nach außen hin ein tolles Leben hattest. Aber ich sehe es anders. Du hattest schwere Zeiten, immer wieder. Und für mich zählt es, was du denkst und fühlst. Und ich kann dich auch beschützen, wenn es nötig ist. Ich kann dich stützen, so wie du mich stützen kannst. Wir sind gleichberechtigt, in jeder Beziehung. Und das ist wichtig für uns, sehr wichtig. Du musst versuchen, dir das begreiflich zu machen. Denkst du, das geht?“
Tessa sah ihn lange an.
„Es wirkt noch seltsam, sich das vorzustellen“, gab sie dann zu. „Aber du hast natürlich recht, es ist wichtig, dass wir in allen Punkten gleich berechtigt sind. Vor allem für dich.“

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„Aber genau das ist der Punkt“, rief Jess aus. „Es ist nicht nur für mich wichtig! Ich will nicht, dass du es dir begreiflich machst, weil es für MICH wichtig ist! Es ist für dich genauso wichtig! Verstehst du das nicht? Du brauchst auch Wärme und Liebe und Nähe und Geborgenheit. Oder etwa nicht?“
Tessa schluckte. „Ja… das brauch ich“, stieß sie dann leise hervor. Jess drückte ihre Hand.
„Na siehst du“, erwiderte er dann sanft. „Und ich kann dir all das geben. So wie du mir. Es ist nicht nur für mich wichtig, weißt du.“
Tessa begriff allmählich, was er meinte.
Die beiden saßen noch eine Weile zusammen, dann verabschiedeten sie sich voneinander.
Nachdenklich verließ Tessa den Park.

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Ein warmes Gefühl durchströmte sie, als sie den Gedanken zuließ, sich bei Jess fallen lassen zu können. Doch im selben Moment erschien ihr das Gefühl absolut abstrus. Jess war doch noch so labil! Er wusste so wenig von dem, was da draußen auf ihn zukommen würde.
Sie war es, die anfangs stark und optimistisch für ihn sein musste. Und doch regte sich tief in ihr das Bewusstsein, dass sie ihre Beschützerinstinkte allmählich zurück schrauben musste. Und die Vorstellung, selbst beschützt zu werden, erfüllte sie den ganzen Heimweg über mit verwirrender Verzückung. Auch wenn sie diesem Gedanken noch misstraute.


Fortsetzung folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oh, die beiden Kapis haben mir aber auch wieder gut gefallen :)

Erstmal fand ich es total gut, wie Niklas sich geäußert hat. DAS finde nämlich sogar ich glaubhaft. Er tut wenigstens nicht so, als würde er jetzt auf einmal alles verstehen und so (was ich übrigens auch IRL völlig verlogen finde, wenn irgendwelche Leute sich einbilden, bei dem Thema überhaupt wirklich was verstehen zu können) Er sagt ganz klar, dass ihm das Alles fremd ist und er auch froh drüber ist. Finde ich absolut OK und würde das an seiner Stelle auch so sehen.
Es ist schön, dass die drei da jetzt reinen Tisch gemacht haben :)

Tja und Jess ... steckt da also tatsächlich doch ein Mann in der Lusche? *g*
Das würd mich wirklich interessieren, ob er irgendwann aus dem Weichspülgang herauskommt ...


Ist natürlich alles wieder wunderschön geschrieben und die Szenen stimmen in sich total. Echt toll zu lesen und wieder mal sehr einfühlsam und mitreißend *seufz*


Liebe Grüße,
Colabirne :hallo:



*höhö* und so pünktlich geschrieben :D
 
hmm... ich kann diese kapitel irgendwie ganz schwer erfassen - so wie du könnte ich glaube ich nie im leben gefühle schildern und somit gewissermaßen auch selbst leben...
irre! ich bin absolut ratlos.

nun sieht tessa scheinbar jedoch endlich ein, dass beziehungen ja irgendwie doch zweiseitig sind. ich bin gespannt, ob sie das in der praxis umsetzen kann.
hoffentlich klappt das alles! und hoffentlich hast du keine böse überraschung für uns, bei den ganzen andeutungen, dass die story sich rasant dem ende nähert........

:hallo:
 
@colabirne: Hihi, Weichspülgang! :D Ich musste herzlich lachen, als ich das las! Danke für Deinen Kommi!


@crushboy: Auch danke für Deinen Kommi!


@Zahlencödchen: Es freut mich, dass ich die Gefühle offenbar ganz gut beschrieben habe. Und ja, es geht rasant aufs Ende zu... und es ist noch alles offen ;)
 
Kapitel 89
Ein neues Leben


Tessa betrat den Garten langsam und fast zögernd. Kurz hinter dem Zaun blieb sie stehen und sog für einen Moment die inzwischen schon deutlich kühlere, nach Herbst duftende Luft tief ein.
Sie ließ ihren Blick langsam durch den ausladenden Garten schweifen. Die Blätter der Bäume hatten sich in den kalten Nächten der letzten zwei Wochen schnell bunt verfärbt. Hier und da lag trockenes Laub auf dem Boden verstreut und im sanften Windhauch segelte das ein oder andere angefärbte Blatte anmutig zu Boden.

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Tessa erinnerte sich an jenen Tag vor etwa sechs Monaten, als sie den Garten zum ersten Mal gemeinsam mit Jess betreten hatte. Die Bäume hatten ihre noch kahlen Äste in den Himmel gestreckt, doch an den Sträuchern waren erste Knospen zu entdecken gewesen. Nach der langen ersten Trennungsphase war der Garten allmählich zum Leben erwacht. Während ihrer ersten Besuche – die sie fast immer hier draußen verbracht hatten – waren sie umgeben gewesen von saftigen Büschen, deren Blüten betörenden Duft verströmt hatten.
Als die Sommerhitze über das Land gekommen war, hatte man hier eine Oase der Ruhe gefunden. Unter den grünen Dächern der Blätter hatten sie oft Schatten gefunden und die Stille, sich miteinander zu unterhalten und sich zu berühren.
Nun hatte der Garten sich wie zum Abschied gerüstet und sein buntestes Kleid angezogen. Tessa ging einige Schritte weiter und blieb dann einige Meter vor dem weißen Haus stehen. Lächelnd betrachtete sie die saubere Fassade.

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Wie sehr sich Jess in dieser Zeit verändert hatte. Er erinnerte schon rein äußerlich kaum noch an jenen jungen Mann, den sie damals kennen gelernt hatte – noch viel weniger an die ausgezehrte Gestalt, die sie seinerzeit vor ihrem Haus gefunden hatte, so schrecklich entstellt von den Angriffen seiner Feinde.
Schaudernd dachte sie an jenen Abend zurück und wie nahe sie daran gewesen war, das Liebste auf Erden zu verlieren.

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Umso dankbarer war sie dafür, heute hier stehen zu können, an diesem wunderschönen Herbst Samstag Ende September. Wie lange hatten Jess und sie diesen Tag herbei gesehnt… und wie schnell war er dann eigentlich doch gekommen.
Tessa ging nun entschlossenen Schrittes weiter und öffnete die großen Flügeltüren. In der Vorhalle der Villa war es ruhig und aufgeräumt, wie immer. Jess hatte gesagt, er wolle sie hier treffen, sobald er fertig gepackt hatte. Da er noch nicht zu sehen war, nahm Tessa in einem der gemütlichen Korbsessel Platz, um auf ihn zu warten.

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So saß sie dann in ihren Gedanken versunken da. So sehr sie sich natürlich freute, dass Jess und sie diesen Ort bald für immer verlassen und wirklich und wahrhaftig ein neues und ganz „normales“ Leben beginnen würden, so musste sie vor sich selbst eingestehen, dass es ihr bei dem Gefühl auch etwas mulmig war.
Sie hatte die ganzen letzten zwei Tagen in freudiger Aufregung damit verbracht, die Wohnung auf Hochglanz zu polieren, einige ihrer alten Kleider aus den Schränken zu verbannen, um Jess´ Sachen direkt einen festen Platz zu geben. Sie hatte Farben für die Leinwand gekauft, damit Jess direkt mit dem Malen loslegen konnte, sofern er wollte – das war ihr „Einzugsgeschenk“ an ihn. Sie hatte den Kühlschrank mit leckeren Sachen gefüllt und hoffte insgeheim, dass Jess heute Abend vielleicht etwas schönes kochen würde – für sie war die Küche nach wie vor nur dafür gut, sich schnell eine Schale Müsli zu füllen, einen Kaffee zu kochen oder ein Brot zu schmieren.
Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie die Schritte auf der Treppe kaum wahrnahm. Jess stellte seinen Koffer neben der Türe ab und kam dann lächelnd auf sie zu.

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Tessa derweil bemerkte ihn nicht und starrte weiter nachdenklich vor sich hin. Ob das Zusammenleben gut funktionieren würde? Sie lebten nun immerhin fast zwei Jahre alleine in der nicht allzu großen Wohnung und hatte keine Ahnung, wie es werden würde, sich dem Tagesablauf eines anderen anpassen zu müssen. Selbst zu Hause hatte sie das eigentlich nicht allzu sehr gemusst, ihre Eltern waren ja ohnehin meistens aus dem Haus gewesen, feste Essenszeiten oder Rituale hatte es allerhöchstens am Wochenende gegeben.
„Sag mal, träumst du?“, riss sie Jess amüsierte Stimme aus ihren Gedanken. Er stand neben ihr und sah sie lächelnd an. „Wenn ja, dann doch hoffentlich nur von mir, mh?“

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Überrascht wandte Tessa sich ihm zu und lachte dann.
„Immer und überall“, sagte sie zwinkernd. „Ich habe dich wirklich gar nicht kommen hören. Sicher hast du dich angeschlichen!“
Jess lachte. „Nein, mein Schatz, mit Sicherheit nicht, mein Trampeln auf der Treppe hätte man auf hundert Kilometer Entfernung gehört.“
Tessa lächelte. „Dann war ich wohl wirklich in Gedanken“, gab sie zu und sah ihn mit einemmal etwas befangen an. „Bist du denn fertig?“
„Meine Sachen sind gepackt“, erwiderte Jess und wies auf seinen kleinen Koffer, der an der Türe stand. „Ich muss nun nur noch auf die Ärztin warten, damit ich meine Entlassungspapiere bekomme. Dann können wir sofort los. Wenn du magst…“

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„Sicher“, erwiderte Tessa und stand auf. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie dann und sah ihn aufmerksam an.
„Gut“, gab Jess zur Antwort. „Etwas aufgeregt, zugegebenermaßen. Und du?“
„Genauso“, erwiderte sie lächelnd. „Wie schön, dass ich damit nicht alleine bin. Aber ich freue mich so sehr. Ich konnte heute Nacht kaum schlafen, ich musste ständig daran denken, dass dies die letzte Nacht ohne dich sein wird.“
„Und? Hast du es noch mal so richtig genossen, dein Bett alleine zu haben, nicht von meinem Schnarchen geweckt zu werden?“, fragte er neckend und Tessa knuffte ihn in die Seite.
„Sag so was nicht! Du schnarchst doch gar nicht!“
Die beiden wurden in ihrer Neckerei unterbrochen, als Doktor Habsburg aus der Tür des Büros kam und beide freundlich grüßte.
„Hallo Herr Berger, Frau Wagner. Ich habe hier die Entlassungspapiere!“
Sie reichte Jess eine Mappe mit ordentlichen Papieren. Jess legte sie zu seinem Gepäck, dann schüttelte er der Ärztin die Hand.
„Auf Wiedersehen, Doktor Habsburg“, sagte er freundlich. „Und danke für alles.“

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Die Ärztin lächelte.
„Das meiste haben Sie selbst geschafft, Herr Berger“, erwiderte sie. „Wir haben nur ein bisschen Hilfe geleistet. Sie wissen ja, Sie können jederzeit anrufen, wenn etwas sein sollte. Aber Sie haben ja auch eine Liste von Therapeuten und Anlaufstellen in Ihrer Heimatstadt.“
Jess nickte.
„Ja, ich bin gut versorgt. Ich habe sogar schon einen Termin bei einem der Therapeuten, schon nächste Woche.“
„Das ist gut, dann wird die Betreuung ohne Unterbrechung fort gesetzt“, lächelte Doktor Habsburg. „Die Anfänge werden nicht ganz einfach für sie beiden sein. Reden sie viel über das, was sie beschäftigt. Und nicht zuviel erwarten, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.“
Jess lächelte. „Ja, ich weiß.“
„Nun, dann bleibt mir nur noch, Ihnen alles Gute zu wünschen“, sagte die Ärztin freundlich.

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Sie reichte auch Tessa noch einmal die Hand, dann winkte sie beiden kurz zu und verschwand wieder im Büro.
Nun standen beide etwas unschlüssig voreinander.
„Nun… dann … könnten wir eigentlich aufbrechen“, sagte Jess nach einer Weile langsam.
Tessa nickte. „Ja, sieht so aus.“
Sie lächelten einander an und spontan zogen sie sich fast gleichzeitig in die Arme.
„Wir schaffen das schon“, flüsterte Jess.
„Ganz sicher sogar“, sagte Tessa lächelnd.

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Langsam ließen sie voneinander ab, Jess griff nach seinem Koffer und gemeinsam verließen sie die Villa. Die Luft draußen war kühl, aber angenehm. Einen Moment blieben beide noch zögernd stehen, und Jess ließ seinen Blick wie abschiednehmend noch einmal durch den Garten und über die Fassade des Hauses streifen.

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Dann lächelte er Tessa zu, straffte den Rücken und gemeinsam gingen beide raschen Schrittes den Weg entlang, die Straße hinab und stiegen in Tessas kleines Auto.
„Bereit?“, Tessa warf Jess einen fragenden Blick zu.
„Bereit!“
Sie nickte, drehte den Schlüssel im Zündschloss und gab Gas.
Langsam entfernte sich das Motorengeräusch und verklang dann schließlich ganz.
Es senkte sich wieder Stille über den Garten der Villa.
Nur die bunten Blätter der Bäume rauschten leise im Wind, als wollten sie dem Paar alles Gute wünschen und es zugleich vor den Gefahren warnen, die sie noch erwarten sollten.

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Fortsetzung folgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ist das schön. Weiß gar nicht, wie ich das jetzt schreiben sol ...


*seufz*


Ich höre aber auch gerade so völlig schnulzige Mucke *kopfschüttel*
Deswegen schwimme ich gerade voll auf der "Hach-wie-schön.alles-wird-gut -Welle"


Du kannst solche Stimmungen aber auch wirklich blendend transportieren, Innad. Ganz großes Kino!

Liebe Grüße,
Colabirne :hallo:
 
Hallo Innad!

Ein schönes Kapitel wieder mal das 90. Kapitel. Ich hoffe bei Jess und Tessa wird es jetzt wirklich schön ich drücke den beiden die Daumen.

Mach schnell bitte weiter ich bin so gespannt wie es weiter geht bitte schreibe schnell weiter
 
hmm der letzte satz ist ja mal wieder sehr mysteriös. ich bin mehr als gespannt auf das ende... und wie es bis dahin weitergeht, natürlich :)

super gemacht. wirklich eine super fs, ich finds so klasse, dass du sie noch fertig stellst, trotz allem.... :hallo:
 
@colabirne: Hihi, danke :) Ich bin gespannt, welche Mucke Du heute bei diesem Kapitel hörst ;)


@crushboy: Danke für Deinen Kommi! Wie schön es wird, bleibt abzuwarten, aber lies selbst!


@Zahlencödchen: Danke für Deinen Kommi! Ja, Du hast es erfasst, der letzte satz deutet einiges an, aber ihr werdet heute ein Stückweit mehr erfahren!
 
Kapitel 90
Eiskalte Angst


Die ersten Wochen gemeinsam mit Jess verliefen ruhig und weniger problematisch als Tessa es je für möglich gehalten hätte. Die beiden genossen ihre Zweisamkeit in vollen Zügen. Zuerst war es etwas seltsam für Tessa gewesen, Jess ständig um sich zu haben – aber nie unangenehm oder gar störend, ganz im Gegenteil.
Da sie selbst noch Semesterferien hatte, konnte sie jeden Tag von morgens bis abends mit Jess gemeinsam verbringen. Es war, als holten beide so vieles von dem, was sie in den letzten Jahren nie gehabt hatten, in Siebenmeilenschritten nach.
Vor allem genossen sie es, jeden Abend nebeneinander einzuschlafen und am folgenden Morgen wieder eng aneinandergekuschelt aufzuwachen.

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Sie versuchten vorsichtig und behutsam, sich aneinander zu gewöhnen und sich die Vorlieben und Abneigungen des anderen bewusst zu machen. Bei Jess war dies nicht allzu schwierig – er war schon so lange von einem „normalen Alltagsleben“ entfernt gewesen, dass er kaum eigene Gewohnheiten hatte. Ab und an wurde er immer wieder einmal etwas missmutig und gereizt, doch die Launen hielten sich in Grenzen, denn auch er genoss es viel zu sehr, seinen Tag mit Tessa zu teilen und sie nicht ständig vermissen zu müssen.
Doch dann holte beide schließlich doch der Alltag ein, als der Oktober sich dem Ende zuneigte, die Bäume ihre bunten Blätter zunehmend von sich warfen und für Tessa die Uni wieder anfing.

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Sie hatte noch einiges nachzuholen, denn in den Ferien hatte sie zuerst durch das Praktikum, dann durch ihre Bedenken und Unsicherheiten und später durch Jess viele Dinge nicht erledigen können und musste sich nun oft auf den Hosenboden setzen, um die Fristen für die noch zu erledigenden Referate und Hausarbeiten auf keinen Fall zu überziehen.
Jess war nun fast den ganzen Tag allein in der Wohnung, denn auf Tessa wartete das letzte Semester vor den gefürchteten Zwischenprüfungen, und sie musste viel Zeit in Vorlesungen, Kolloquien und Seminare investieren – und nebenbei büffelte sie die meiste Zeit in der Bibliothek. Nicht nur, weil die Recherche so oft viel leichter fiel… sie musste zugeben, dass sie zu Haus nun kaum mehr die nötige Ruhe fand, wo Jess sich ebenfalls im Wohnzimmer aufhielt und sie durch seine Anwesenheit ablenkte, egal wie sehr er sich bemühte, es nicht zu tun.
Jess derweil besuchte ein- bis zweimal die Woche seine Therapeutin, die ihre Praxis nicht weit von Tessas Wohnung hatte. Es schien ihm zwar gut zu tun, doch je weiter der Herbst fortschritt, desto frustrierter wurde er. Jeden Tag durchforstete er die Zeitungen nach Stellenangeboten und telefonierte sich die Finger wund – in der Regel ohne Erfolg. Selbst die einfachsten Nebenjobs schienen nicht „geeignet“ für ihn zu sein.
So war es kein Wunder, dass Tessa an diesem frühen Novembernachmittag mit unwohlem Gefühl ins Wohnzimmer kam und Jess mal wieder mit der Zeitung in der Hand auf der Couch vorfand.

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„Hallo“, sagte sie behutsam. „Ich bin wieder zurück.“
Jess sah auf und klappte die Zeitung zusammen. „Du bist recht früh“, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest. „Ist dein Seminar ausgefallen?“
Tessa nickte. „Ja, der Dozent ist krank. Aber ich war noch ein bisschen in der Bibliothek, sonst wäre ich früher gewesen. Wie war dein Tag?“
Jess sah sie mit gefährlicher Ruhe an und sagte dann scheinbar unbekümmert, die Zeitung immer noch in der Hand.
„Ganz nett, vielen Dank.“

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Tessa schluckte und sah ihm nach, wie er die Zeitung fein säuberlich zusammenfaltete und in den Papierkorb warf, dann in die Küche ging und anfing, die Zutaten fürs Abendessen aus dem Kühlschrank zu nehmen.
Mit stoischer Ruhe begann er, die Zwiebeln kleinzuhacken, während Tessa unschlüssig neben ihm stand und nicht recht wusste, was sie sagten sollte.
„Ist alles okay?“, fragte sie schließlich kleinlaut und Jess brummte nur ein mehr oder weniger überzeugendes „Klar doch.“
Da Tessa nicht recht wusste, was sie daraufhin sagen sollte, meinte sie vorsichtig: „Ich hab noch ein-zwei Dinge für die Uni zu erledigen. Stört es dich, wenn ich das mache, bis das Essen fertig ist?“
„Nein, kein Ding“, erwiderte Jess nur knapp und beschäftigte sich weiter mit seiner Spaghettisauce.

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Unsicher öffnete Tessa die Tür und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie ihr Notebook anschaltete und die letzten Quellenverweise für eines ihrer Referate fertig zu stellen versuchte. Es fiel ihr jedoch nicht ganz leicht, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Nicht nur weil Jess in der Küche laut mit Töpfen und Pfannen klapperte, sondern weil sie das unschöne Gefühl im Bauch hatte, dass Streit in der Luft lag.

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Schließlich zog der verführerische Duft von Bolognese-Sauce durch die Wohnung und Tessa schnupperte hoffnungsvoll. Es war ihr Lieblingsessen, schon seit jeher, und Jess kochte einfach die beste Spaghettisauce der Welt, musste sie zugeben. Ohnehin hatte er in den letzten Wochen die kleine Küche tatsächlich regelrecht wach geküsst. Es kam beiden zugute, dass sich die Bewohner der Villa Sonnenschein ihr Essen hatten selbst zubereiten müssen und dass Jess in dieser Beschäftigung neben der Malerei ein echtes, weiteres Hobby gefunden hatte.
Die Tür öffnete sich und Jess kam beladen mit Spaghetti und Sauce ins Zimmer und begann, Teller auf dem Tisch zu verteilen.

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Tessa speicherte ihre Arbeit ab und ging zum Tisch. Jess füllte schweigend beide Teller, murmelte „Guten Appetit“ und begann dann zu essen. Tessas Hoffnung, das gute Essen könnte die Stimmung bessern, sank minütlich, während sie beide schweigend aßen. Nach einer Weile legte sie die Gabel beiseite und sagte: „Es schmeckt mal wieder toll.“
Jess nickte nur.Du, Jess…“, begann sie vorsichtig. „Was ist denn los? Ist irgendetwas besonderes vorgefallen heute?“
Jess sah sie verständnislos an. „Etwas Besonderes?“ Sarkastisch sagte er: „Naja, wenn du so willst, heute Mittag kamen ein paar Jugendliche vorbei und haben die Mülltonnen unten auf der Straße umgetreten. Das war schon sehr aufregend, ja.“

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Tessa schwieg und biss sich nervös auf der Unterlippe herum.
„Bist… du sauer?“, fragte sie dann schließlich.
Jess sah sie wieder fragend an. „Was meinst du?“
„Naja, ich meine ja nur… du bist so… seltsam. Schlecht gelaunt. Ich… ich weiß auch nicht.“

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„Das kommt dir nur so vor“, murmelte Jess abweisend und widmete sich wieder seinem Essen.
Tessa drehte unruhig eine Nudel auf ihre Gabel und ließ sie wieder von eben jener gleiten. Sie warf einen Blick aus dem Fenster, es war schon lange dunkel geworden und die Lichter der Hochhäuser blitzten durch das Fenster herein. Ob das Zusammenleben für andere Menschen auch manchmal so schwierig war? Oder lag es nur an Jess´ besonderer Situation?
„Hör mal“, begann sie wieder vorsichtig. „War wirklich nichts? Du redest kein Wort und…“
„Nein, es war nichts“, schnitt Jess ihr das Wort ab.

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Tessa biss sich erneut auf die Lippen. Sie fühlte sich mehr als unwohl in ihrer Haut. Instinktiv war ihr klar, dass Jess nicht reden wollte. Auf der anderen Seite konnten sie doch nicht den Rest des Abends hier sitzen und sich wie die Stockfische anstarren!
„Jess“, setzte sie noch einmal an. „Ich… ich finde dich heute wirklich ziemlich schlecht gelaunt, kann das sein?“
Jess zuckte mit den Schultern und langsam riss Tessa der Geduldsfaden.
„Du, hör mal, ich würde dir ja wirklich gerne helfen“, rief sie ratlos. „Aber du musst mir schon die Möglichkeit dazu geben, weißt du.“

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Jess schnaubte verächtlich aus und sagte dann patzig: „Du kannst mir ohnehin nicht helfen, also lassen wir das Thema einfach!“
„Was meinst du denn?“, rief Tessa aus. „Was ist denn los?“
„Was los ist? Du kommst hier geschäftig von deinem ach-so-tollen Unitag zurück und wunderst dich, wenn ich schlecht gelaunt bin, nachdem mir hier mal wieder den ganzen Tag die Decke auf den Kopf gefallen ist!“, schnaubte Jess wütend.

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Tessa seufzte. „Ach, Jess, das Thema hatten wir doch schon. Ich kann doch nichts dafür, dass ich was zu tun habe im Gegensatz zu dir.“
„Du weißt gar nicht, wie gut du es hast“, sagte Jess säuerlich. „Ich würde gerne mit dir tauschen.“
„Aber Jess, das ist doch kein Dauerzustand“, erwiderte Tessa. „Bald hast du auch einen Job, und im Januar fängt die Abendschule an, dann hast du mehr als genug zu tun. Außerdem hältst du hier so toll sauber und ordentlich, so hat die Wohnung noch nie ausgesehen. Und du kochst so leckere Sachen wie das hier.“
Jess wies verächtlich auf den leeren Teller.
„Das findest du also eine tolle Beschäftigung?“



„Nun, es ist zumindest eine“, erwiderte Tessa und merkte, wie sie allmählich selbst säuerlich wurde. „Hör mal, Jess, ich kann nichts dafür, dass es im Moment so ist, wie es ist. Du kannst mich nicht dafür verantwortlich machen, nur weil ich ein geordnetes Leben habe und du nicht.“

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Sie biss sich im selben Moment auf die Lippen, wie ihr die Worte entschlüpft waren.
Jess schnaubte aus. „So siehst du das also!“, rief er und schob den Stuhl zurück. „Ich hab´s mir gedacht!“
„Nein, so hab ich das nicht gemeint, das weißt du. Ich wollte damit nur sagen, dass… ich würde dich auch etwas wünschen, dass dich mehr fordert, aber es ist nicht richtig, dass du mir ein schlechtes Gewissen machst, weil ich das habe, was du dir wünschst… Hör mal, ich weiß, du hast heute sicher wieder keinen Job gefunden, aber du musst nur noch etwas Geduld haben. Du wirst schon etwas finden, da bin ich sicher“, sagte sie zuversichtlich und versöhnlich.
Doch Jess schnaubte nur und trat zu ihrem Entsetzten wütend an den Stuhl, der bedenklich zu wackeln begann. Dann raufte er sich die Haare.
„Das sagst du so einfach! Immer sagst du sowas, dabei hast du überhaupt keinen blassen Schimmer, wie es wirklich ist!“

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Tessa stand nun ebenfalls auf und ging auf ihn zu.
„Hör auf, Jess“, sagte sie nun mit fester Stimme. „Du reagierst gerade völlig über! Krieg dich bitte wieder ein!“
Jess jedoch blieb weiterhin wütend und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab.
„Du weißt gar nicht, wie das ist!“, stieß er hervor. „Immer wieder anzurufen, immer wieder diese Absagen zu erhalten, sobald die Frage nach dem Lebenslauf gestellt und von mir wahrheitsgemäß beantwortet wurde!“ Er drehte sich zu ihr herum.
„Es ist, als sei ich lebendiges Gift!“, rief er aufgebracht. „Gift, verstehst du! Ich bin nach wie vor der Abschaum der Gesellschaft, ob clean oder nicht!“

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Tessa schluckte, sie wusste nicht recht, was sie erwidern sollte.
„Ich kann mir vorstellen, wie schwer das sein muss…“, setzte sie schließlich an.
Jess fuhr herum. „Ach ja? Woher willst du dir das vorstellen können? Du hast immer ein behütetes Leben gehabt, du weißt nicht, wie es ist, auf der untersten Stufe der Gesellschaft zu stehen!“
Tessa sah ihn ärgerlich an. „Hör auf damit, Jess! Es ist okay, dass du verletzt und wütend bist, aber lass es gefälligst nicht an mir aus! Ich kann nichts für mein Leben!“

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„Ich halte das hier nicht mehr aus!“, rief Jess aus. „Jedesmal, wenn ich uns Essen einkaufe, muss ich daran denken, dass das nicht ich bezahle – nicht einmal du, sondern deine Eltern! Ich komme mir vor ein Bettler, ein Nutznießer!“
Tessa schnaubte aus. „Ich verstehe nicht, dass du das nicht endlich mal aus deinem Kopf bekommen kannst!“, rief sie aus. „Im Moment geht es einfach nicht anders, verstehst du! Das ist alles nicht dauerhaft! Aber Entwicklung braucht Zeit, begreifst du das denn nicht?“

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„Ach! Hör auf mit deinen geschwollenen Reden!“, rief Jess aus. „Das klingt höchst akademisch, aber es nutzt nichts! Es ist so nicht gut, wie es ist! Ich… ich halte es hier dirn nicht mehr aus! Du verstehst mich nicht, für dich ist immer alles so einfach, so geradlinig!“
„Ist es nicht!“, rief Tessa aus. „Aber du siehst immer schwarz wie sonst was! Hab doch etwas Vertrauen! Lass uns etwas Zeit! Du bist gerade mal vier Wochen nicht mehr in der Reha-Klinik und erwartest geradezu Wunder!“
Jess schnaubte aus. „Du bist nicht meine Therapeutin, klar?? Was verstehst du schon davon?“

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Tessa schnaubte nun ebenfalls aus.
„Hör auf, mich so anzuschreien! Du bist nicht im Recht, so verletzend zu sein! Ich kann nichts für deine Lage!“
„Dann ist es wohl besser, wenn wir uns aus dem Weg gehen, was?“, schnauzte Jess sie an. „Wenn ich dir doch ohnehin nur auf der Tasche hänge, dich verletze, dich nerve und von deiner Arbeit abhalte!“
Er winkte ab, als sie etwas sagen wollte. „Ich muss hier raus!“, rief er, drehte sich um und verließ das Wohnzimmer.

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„Jess!“, rief Tessa ihm hinterher. „Jess, nun bleib doch bitte hier!“
Doch da fiel auch schon die Haustür mit einem gewaltigen Knall ins Schloss, der Tessa zusammenzucken ließ.
Tessa stand zusammengesunken da und wusste nicht recht, was sie tun sollte. Als sie die Haustür unten ins Schloss fallen hörte, durchzuckte es sie und mit einer plötzlich aufwallenden Panik riss sie die Balkontüre auf und rief Jess, der gerade im Begriff war, die Straße hinab zu gehen, hinterher: „Jess!“
Er drehte sich kurz um. „Was ist?“, gab er gereizt zurück.

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„Wo willst du denn hin?“, rief Tessa aufgeregt.
„Weg, nur weg!“, gab er ihr zur Antwort, drehte sich um und verschwand schnellen Schrittes. Nur wenige Sekunden später hatte ihn der neblige, dunkle Abend verschluckt.
Tessa stand einen Moment unbeweglich auf dem Balkon, dann fröstelte sie in ihrem dünnen T-Shirt und schloss zitternd die Tür hinter sich.
Sie ging zurück zum Tisch und betrachtete aufgewühlt das halb fertige Mahl. Dann drehte sie sich zur Tür, durch die Jess verschwunden war, fast als hoffe sie, er käme wieder hindurch. Verwirrt seufzte sie auf und ließ die Schultern hängen.

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Wo wollte Jess jetzt nur hin? So einen schlimmen Streit hatten sie in den letzten Wochen noch niemals gehabt. Aber vermutlich hatte er nur einen klaren Kopf gebraucht und wollte einige Schritte um die vier Ecken gehen. Tessa seufzte. Vielleicht war es besser so. Sein aufgeregtes, gereiztes Gemüt würde sich wieder beruhigen und mit etwas Glück konnte man nachher ruhig über alles reden. Auch ihr tat die Auszeit nun wohl ganz gut, auch wenn sie innerlich sehr aufgewühlt und nervös war. Um sich abzulenken und zu beruhigen, begann sie, die Essensreste zusammen zu schieben und den Tisch abzuräumen.

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Nachdem sie auch die Küche gesäubert hatte, warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach acht, aber Jess war erst vor etwa einer Stunde gegangen.
Ein schlechtes Gewissen erfasste sie. Vielleicht war sie zu hart zu ihm gewesen, selbst zu überreizt durch die ungewohnte Situation, die alles andere als einfach war. Aber immer wieder seine stillen Vorwürfe wegen ihrer Lebenssituation – wo er von eben jener im Prinzip doch selbst profitierte! Sie konnte sie Probleme verstehen, die er damit hatte, auf Kosten ihrer Eltern zu leben – zumindest zum Teil, denn immerhin bekam er selbst auch etwas Geld vom Sozialamt – aber es war doch von vorneherein klar gewesen, dass die ersten Wochen nur so zu überstehen waren!
Tessa seufzte und wischte sich die feuchten Hände an einem der rauen Küchentücher ab. Es machte keinen Sinn, sich den Kopf zu zerbrechen. Jess war oft launig, und das war wohl aufgrund der Situation auch normal. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es richtig zwischen ihnen krachen würde. Sie beschloss, sich abzulenken und weiter an ihrem Referat zu arbeiten. Doch noch weniger als vorhin konnte sie zur echten Konzentration finden.

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Immer wieder schwenkte ihr Blick zur Uhr, und je später es wurde, desto nervöser wurde sie. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, fuhr ihr Notebook herunter und ging unruhig im Zimmer auf ab und. Die Uhr zeigte bereits nach zehn. Wo war Jess nur hin verschwunden? Er konnte sich unmöglich bei dieser Kälte drei Stunden lang die Beine vertreten.
Sie starrte nervös aus dem Fenster. Der Nebel war dichter geworden und schien Jess geradezu vor ihr verstecken zu wollen. Sie spürte, wie ihr Herz hart gegen ihre Brust zu schlagen schien, als sie daran dachte, wohin er möglicherweise gegangen sein mochte…

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„Nein, nein!“, rief sie aus. „Ich darf gar nicht daran denken!“
Er war nicht dorthin gegangen, sicher nicht. Sie ging wieder im Zimmer auf und ab, als lenke sie die Bewegung von ihren düsteren Gedanken ab. Sie spürte ihr Herz weiter so hart gegen ihre Brust schlagen, dass sie meinte, es wollte jeden Moment heraus springen.

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Unruhig ging sie in die Küche, versuchte sich abzulenken, indem sie sich einen Tee kochte, ließ diesen aber unberührt stehen, öffnete noch einmal die Balkontür und starrte die Straße hinab. Weit konnte man durch den Nebel nicht mehr sehen. Nach einer Weile fühlte sie sich kalt und feucht und ging wieder ins warme Zimmer.
Sie zitterte und obwohl ihr allmählich wärmer wurde, wollte das Zittern nicht aufhören.
Ihr Blick wanderte wieder zur Uhr. Es war bereits elf.
„Ich werde noch verrückt, wenn ich darüber nachdenke“, sagte sie zu sich selbst. Sie ging ins Badezimmer und ließ sich eine Wanne ein.

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Für einen Moment spürte sie, wie das warme Wasser sie zu entspannen begannen und die Wärme ihre Muskeln endlich dazu brachte, nicht mehr zu zucken und zittern, als habe sie ihnen einen Stromschlag verpasst.
Wo konnte Jess nur sein? Sie starrte gedankenverloren in die aufsteigenden Blasen.

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Alle möglichen Gedanken begannen ihr durch den Kopf zu schießen, und es fiel ihr immer schwerer, sie zur Seite zu schieben.
Was war mit den Hellows? Was, wenn er ihnen begegnet war?
Was, wenn er doch zurück gegangen war… wenn die Sucht sich nach all den Monaten seiner bemächtigt hatte, weil die momentane Situation ihm zu schwierig gewesen war?
Tessas Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Trotz der Wärme des Wassers fühlte sie sich mit einemmal eiskalt.
Was war, wenn ihm etwas geschehen war? Was, wenn er rückfällig geworden war?
Oder die Hellows ihn doch erwischt hatten? Wer wusste schon, ob sie wirklich das Interesse an ihm verloren hatten? Wer wusste, in welche Gegend ihn sein verzweifelter Spaziergang geführt hatte?
Tessa hatte das Gefühl, in dem warmen Wasser kaum mehr atmen zu können und stieg hastig aus der Badewanne.
Für einen Moment schien sie ihre Gedanken wieder in den Griff zu bekommen. Sie musste Jess vertrauen. Vielleicht saß er nur in irgendeinem Café und dachte nach.
Sie hüllte sich in einen leichten Hausanzug und starrte in ihr Spiegelbild.

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Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, empfand sie es plötzlich als leer und kahl. Das war ihr in den all den Jahren, in denen sie hier gewohnt hatte, nie so vorgekommen.
Lustlos schaltete sie sich durch einige Fernsehkanäle. Doch die Angst schlich immer wieder in ihr hoch und schien sie in festem Würgegriff zu haben.
Müdigkeit stieg in ihr auf, doch sie kämpfte dagegen an. Wie sollte sie jetzt schlafen, ohne zu wissen, wo Jess war?
Wieder stand sie auf und tigerte unruhig durch den Raum.
Die Uhr zeigte inzwischen weit nach eins. Langsam wurde die Angst zur Sicherheit.
Wo sollte er um diese Uhrzeit noch sein? Alle Bistros und Cafés hatten sicher schon lange geschlossen, es war Werktag.
Die Tränen, die sie so lange zurück gedrängt hatten, stiegen unweigerlich nach oben.

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Sie wehrte sich nicht mehr dagegen.
„Oh Jess!“, schluchzte sie aufgebracht. „Jess, das kannst du mir doch nicht wirklich antun! Komm zurück! Bitte… bitte!“
Diffuse Bilder stiegen in ihr auf, während sie schluchzend wieder und wieder durch die Wohnung tigerte und schließlich im Bad auf dem heruntergelassenen Klodeckel sitzen blieb und vor sich hin weinte.

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Es war schon einmal so gewesen!
Sie hatte gedacht, diese Angst nie wieder spüren zu müssen. Hilflosigkeit. Verlorenheit.
Verzweiflung.
„Nein, ich schaffe das nicht noch einmal“, schluchzte sie in die leere des Badezimmers.
„Nicht noch einmal!“



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Sie stand auf, doch ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen.
„Jess“, wimmerte sie, als sie in die Knie ging und leblos sitzen blieb. „Bitte… bitte komm zurück!“
Es wurde kalt um sie. Der Zeiger der Uhr rückte weiter vor sich hin, unerbittlich und desinteressiert.
Die Nacht schien schwärzer und schwärzer zu werden, während sie mutterseelenallein und zitternd auf dem kalten Fliesenboden saß und gegen die Ängste in ihrer Brust zu kämpfen versuchte, die von Minute zu Minute zur Gewissheit wurden.

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Er hatte sie verlassen. Erneut.



Fortsetzung folgt.....
 
Oje Oje Tessa hat das schon wieder erlebt, dass Jess sie verlassen hatte. Ich hoffe Jess hat sie doch nicht verlassen, ich hoffe er kommt wieder. Ich täte es Tessa gönnen, dass ihr Freund zu ihr wieder zurückkommt.

Ich wünsche, dass Tessa natürlich Jess wieder näher kommen. Tessa sollte mit einen ihrer Freunde reden. Deswegen schreib schnell wieder weiter. Aber ein guter Schreibstil wie du das formulierst mach weiter so.
 
tja, in dieser situation möchte ich nun wirklich nicht stecken.
klar, dass tessa sofort denkt, es sei etwas passiert - auch wenn vielleicht gar nichts ist... oder doch? ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

die beklemmende atmosphäre während des abendessens und tessas "herumirren" in der wohnung hast du hervorragend geschildert.
 
Er hatte sie verlassen. Erneut.
Fakt, oder Vermutung?

Also wenn der das wirklich gemacht hat, soll er elendig verrecken! Echt ma! *aufreg*

Ich habe aber noch die leise Hoffnung, dass er clean geblieben ist ...
Dass er da raus ist, kann ich wirklich gut verstehen. Ich hätte da auch dringend "Luft" gebraucht. Ok, ich wäre nicht so bescheuert gewesen, mir Jobmäßig irgendwelche Hoffnungen zu machen. Aber seine Wut kann ich echt verstehen. Es hilft ihm ja nicht, wenn er täglich von ihr dann auch noch mit so bescheuerten "Grußkarten-Weisheiten" konfrontiert wird. Irgendwie kann ich sogar seinen indirekten Vorwurf verstehen ... denn (ob gewollt, oder nicht) sie hat ihm doch immer wieder durch ihren lächerlichen Optimismus "versprochen", es würde schon alles gut werden.
Klar, faktisch kann sie nichts dafür und er ist wirklich ungerecht.
Aber ... ich würde in dem Moment vermutlich genau die selbe Schiene fahren ;) Ich kann ihn da irgendwie echt verstehen ...

Bin echt, echt, echt gespannt wie es weitergehen wird
 
@crrushboy: Danke für Deinen KOmmi!. Du wirst heute sehen, wie es mit Jess und Tessa weitergeht.


@Zahlencödchen: Ja, natürlich muss da nichts sein, das erfasst Du ganz richtig. Dass die Atmosphäre so gut rüberkam, freut mich :)


@colabirne: Ich glaube auch, es ist nachvollziehbar, dass er da etwas ungerecht reagiert und das hast Du auch schön formuliert mit den "Grußkarten-Weisheiten" :) Auch wenn Tessa vielleicht gar nicht so unrecht haben mag, so ist das in dem Moment einfach unangebracht und bringt einen noch mehr auf 180 als es ohnehin schon der Fall war.
Ob er allerdings wirklich "zurück" ist, weiss man ja noch gar nicht :)
 
Kapitel 91
Kompromisse



Ihre Gedanken drifteten weit ab, verwirrten sich, verirrten sich, wurden in halb vorhandenem Bewusstsein hin- und hergeschleudert. Die Zeit hatte keine Bedeutung mehr, ebenso wenig die Kälte, welche die kleine Wohnung wie jede Nacht erfasste und von den eisigen Fliesen des Badezimmers auf ihren Körper übertragen wurde. Sie spürte nichts mehr, wollte nichts mehr spüren. Bleierne Schwere hatte sich in ihr breit gemacht, nur ihre Gedanken hüpften hin und her, vermischen Bilder und Erinnerungen, Ängste und Hoffnungen.

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Sie war sich nicht sicher, ob sie träumte oder wachte. Alles an ihr fühlte sich kalt und klamm an, fast leblos.
Sie spürte kaum den leisen Luftzug, als sich die Türe öffnete, und sie hörte auch nicht die schnellen Schritte, die auf sie zukamen.
„Tessa?“, rief eine besorgte, ängstliche und ihr vertraute Stimme. „Um Gottes Willen!“

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Jess sank neben Tessa auf die Knie und berührte sie vorsichtig an der Schulter. Er war bleich.
„Tessa? Kannst du mich hören? So sag doch was!“
Tessa reagierte nur langsam, wie im Halbschlaf.
„Jess?“, flüsterte sie verwirrt. „Jess?“
Jess strich ihr über die Stirn. „Du bist ja eiskalt“, sagte er besorgt. „Was machst du hier? Bist du eingeschlafen? Du musst ins Bett.“
Seine Worte drangen nur halb zu ihr durch und sie brauchte eine Weile, um ihren Sinn zu begreifen. Mühsam versuchte sie, sich zu bewegen, doch das lange Liegen hatte sie steif gemacht und wie resigniert drehte sie ihren Kopf zur Seite und schloss die Augen.
„Ich bin müde“, flüsterte sie. „Ich bin so müde.“
„Schon gut“, hörte sie Jess sanft sagen. „Ist schon gut, Tessa.“ Sanft schob er seinen Arm unter ihren Rücken, richtete sie etwas auf und schob den anderen Arm dann fest unter ihre Kniekehlen. Kurz darauf fühlte sie sich sachte von ihm hochgehoben.

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„Das… ist nicht nötig“, stammelte sie. „Ich… kann schon selbst…“
„Ist schon gut, Tessa“, erwiderte Jess, während er vorsichtig ins Schlafzimmer ging. „Du bist ziemlich ausgekühlt von den kalten Fliesen. Du musst ins Bett, damit wir dich wieder etwas warm kriegen.“
Vorsichtig legte er sie auf dem weichen Bett ab. Sie sah ihn aus halb geöffneten Augen an.
„Bist… du wirklich wieder zurück gekommen?“, fragte sie leise. „Oder träume ich?“
Sanft hüllte er sie in die Decke.
„Nein, ich bin wirklich da“, erwiderte er leise und strich ihr über die Stirn. „Du Dummerchen, was hast du denn gedacht?“
„Ich.. ich… dachte“, stammelte sie müde, doch Jess unterbrach sie. „Schhh… ist schon gut. Du brauchst jetzt Schlaf, du bist ja völlig fertig.“
Sie warf ihm noch einmal einen Blick zu und wollte etwas sagen, doch ihre Zunge fühlte sich recht schwer an.
„Bleib… hier“, sagte sie dann schließlich leise.
Jess sah sie ernst an. „Natürlich bleibe ich hier. Mach dir keine Sorgen mehr. Ich bin da.“

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Ein Hauch von Erleichterung flog über Tessas Gesicht, bevor ihr die Augen endgültig zufielen und sie sich dem Schlaf hingab, der sie fest einhüllte.
Jess setzte sich vorsichtig auf ihre Bettkante und strich ihr sanft über die Stirn. Allmählich bekam ihr Gesicht wieder Farbe und ihr Körper wärmte sich in den warmen Decken auf. Jess seufzte schwer und rieb sich die Stirn.
Der Schrecken saß ihm noch in den Knochen, als er schließlich aufstand und zur anderen Bettseite zurück ging, um sich neben Tessa zu legen.
Nachdenklich betrachtete er seine Freundin. Welche Ängste mochte sie in den letzten Stunden ausgestanden haben? Die Reue überkam ihn wie eine gewaltige Flutwelle.
Es war nötig, dass sie beide redeten – aber nicht jetzt, denn jetzt brauchte sie ihren Schlaf.

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Und auch Jess merkte, dass im die Nacht in den Knochen steckte. Es war bereits nach fünf Uhr, als er die Decke zurückschlug und sich vorsichtig, um sie nicht zu wecken, an Tessa schmiegte. Wenige Minuten später hatte auch ihn der Schlaf übermannt.

Es war nach zwölf Uhr am Mittag, als Tessa geduscht und in einen frischen Schlafanzug gehüllt das Wohnzimmer betrat. Es duftete nach frischem Kaffee und der Frühstückstisch war bereits gedeckt. Jess lächelte ihr entgegen und sie lächelte zurück.

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Jess hatte bereits angezogen neben ihr gelegen, als sie vor einer halben Stunde aus einem wie totenähnlichen Schlaf aufgewacht war.
„He“, hatte er sachte geflüstert. „Wie fühlst du dich?“
Es war eine Weile vergangen, bis Tessa sich daran hatte erinnern können, was am Vorabend und in der Nacht geschehen war.
„Ich bin so froh, dass du wieder da bist“, hatte sie nur erwidert.
Jess hatte nach einer Weile darauf bestanden, dass sie heute nicht zur Uni gehen sollte – die ersten Vorlesungen hatte sie ohnehin verpasst.
„Du warst gestern Nacht ziemlich am Ende“, hatte er ernst gesagt. „Und hast dich ordentlich verkühlt. Hoffen wir mal, dass es keine Erkältung oder eine Grippe gibt. Es ist wohl besser, wenn du heute den ganzen Tag hier bleibst, dich wärmst und ausruhst.“
Tessa hatte gerne nachgegeben, denn tatsächlich fühlte sie sich so gerädert, als habe sie mehrere Nächte hintereinander nicht geschlafen. Nach einer heißen Dusche jedoch fühlte sie sich schon frischer. Jess hatte die Heizung im Wohnzimmer ordentlich aufgedreht, sagte jedoch trotzdem besorgt: „Du solltest dich wärmer anziehen“, als er Tessas dünnen Schlafanzug registrierte.
„Mir ist schon warm genug“, erwiderte diese lächelnd und ließ es zu, dass Jess sie an sich zog und sie küsste.

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„Geht´s dir wirklich gut?“, fragte er dann besorgt. Tessa nickte. „Ja, ich fühle mich nur noch etwas müde, keine Sorge.“
„Am besten legst du dich nach dem Essen wieder hin“, erwiderte Jess und strich ihr sanft durchs Haar. „Nicht dass du doch noch krank wirst.“
„Mach dir nicht so viel Gedanken“, sagte Tessa und warf einen Blick auf den Frühstückstisch.
„Das sieht alles sehr lecker aus.“
„Ja, dann setz dich, du hast sicher Hunger.“

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Tessa nahm Platz und sah Jess zu, wie er die Schalen mit Müsli füllte.
Langsam und schweigend begannen beide zu essen. Schließlich ließ Jess von seinem Müsli ab und sah Tessa ernst an.
„Ich habe mir wahnsinnige Sorgen um dich gemacht gestern Nacht“, sagte er ernst. „Was … was ist denn los gewesen, nachdem ich weg war?“

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Tessa schluckte und legte den Löffel für einen Moment beiseite.
„Ich… ich dachte, du kommst nicht wieder zurück“, erwiderte sie dann schließlich mit zittriger Stimme. „Ich… ich dachte, du wärst… zum Bahnhof… oder dass dir was passiert ist.“
Jess schluckte. „Ja, ich verstehe“, sagte er dann betroffen. „Ich hab es mir ja gedacht. Tessa, es tut mir so leid.“
Tessa schluckte. „Ich dachte, es wäre wieder wie damals…“

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Jess griff nach ihrer Hand. „Ach Tessa, wirklich… ich habe nicht gedacht, dass du… ich dachte nicht, dass du sofort daran denkst und… habe die Zeit auch zugegebenermaßen vergessen. Es tut mir so leid. Ich mache mir furchtbare Vorwürfe…“
Tessa erwiderte den Druck seiner Hand. „Wo warst du denn nur so lange?“, fragte sie dann.
„Ich… ich dachte zuerst, du bist nur spazieren, aber als es immer später wurde….“

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Jess nickte. „Ich habe völlig die Zeit vergessen. Ich… ich war so wütend und durcheinander. Ich habe mich nach einem Schuss gesehnt wie nie zuvor…“, er schluckte. „Aber ich war nie wirklich in der Versuchung… so viel haben wir, und auch ich, dafür durch gemacht… ich brauchte einfach nur Luft, das alles war mir zuviel. Ich bin eine Weile nur durch die Gegend gelaufen, aber mir wurde bald zu kalt und ich fror. Da vorne, ein paar Straßen weiter, gibt es doch dieses kleine Nachtcafé, und da hab ich Unterschlupf gefunden. Ich bin dort dann mit einem alten Mann ins Gespräch gekommen… und… ja, ich weiß auch nicht, es kam eines zum anderen… ich habe völlig die Zeit vergessen, und als ich auf die Uhr geschaut habe, war es schon nach drei Uhr. Ich bin sofort gegangen, weil ich mir dachte, dass du dich sorgst. Aber ich habe die Zeit gebraucht, um mich zu sortieren. Ich wollte dich anrufen, aber ich hatte Angst, dich zu wecken…. ich war mir nicht recht bewusst, welche Ängste ich dir zugemutet habe…“

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Tessa nickte langsam, sagte dann aber: „Das hättest du dir aber denken können, Jess. Ich meine… du bist einfach überstürzt abgehauen und… woher hätte ich wissen sollen, dass du gemütlich in einem Café sitzt?“
Jess sah sie schuldbewusst an, erwiderte dann aber ernst: „Tessa, ich denke, wir beide wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Du musst lernen, mir mehr zu vertrauen, auch wenn ich verstehe, dass es schwer ist. Und ich muss lernen, mehr Geduld zu haben.“
Tessa nickte. „Ja… es ist nicht so einfach, wie wir gehofft hatten.“
Jess aß langsam weiter und sagte dann: „Ich muss zugeben, es macht mir mehr Probleme als ich dachte, immer weiter auf deine Kosten zu leben. Ich weiß, du sagst, es ist eben so und ich muss mich damit abfinden. Aber so einfach ist das nicht für mich.“

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Tessa schluckte. „Ja… aber was sollen wir denn machen? Es ist eben nicht zu ändern…“
Jess zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir auch nicht sicher. Aber vielleicht wäre es eine Lösung, wenn ich doch versuche, eine eigene Wohnung zu bekommen. Ich würde dich nicht mehr so oft stören und hätte nicht mehr ganz das Gefühl, auf deine Kosten zu leben.“
„Du willst hier ausziehen?“, fragte Tessa überrascht. „Aber… ist das nicht eine überstürzte Reaktion?“
Jess lächelte beruhigend. „Ich habe gar nichts entschieden, Tessa. Ich habe nur eine Idee gehabt und würde sie gerne mit dir und in der Therapie besprechen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das etwas hilft, aber es wäre die einzige gangbare Lösung, die mir auf die Schnelle einfällt.“
Tessa fiel es schwer, nicht zu widersprechen, aber sie musste zugeben, dass auch ihr nichts Besseres einfiel.

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„Weißt du… ich glaube aber, irgendwie wäre das auch nur wieder eine Art Flucht“, sagte sie dann nach einer Weile nachdenklich. „Ich will deine Idee nicht grundlegend verurteilen, auch wenn sie mir nicht gefällt. Ich möchte nicht wieder nachts alleine einschlafen. Ich genieße deine Nähe.“
Jess lächelte sie liebevoll an. „Das tu ich doch auch, und wir können ja trotzdem öfters beieinander übernachten, falls es soweit kommen sollte…“
Tessa nickte, sprach dann aber weiter: „Trotzdem… du bist noch nicht lange aus der Klinik entlassen. Du darfst nicht wieder alles so übereilen, finde ich jetzt jedenfalls. Wieso… machen wir nicht einen Kompromiss und sagen, wir probieren es noch bis Ende des Jahres und dann sehen wir weiter? Du hast mit deiner Idee einen Notweg im Hinterkopf, vielleicht hilft dir das ja auch schon weiter, weil du weißt, du musst es nicht auf Dauer ertragen, falls es nicht geht…“

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Jess sah sie einen Moment nachdenklich an und nickte dann. „Das hört sich ziemlich vernünftig an“, sagte er dann. „Ich bin froh, dass du mir nicht versuchst, es auszureden und verstehst, was mein Problem ist. Ich habe mich darin die ganze Zeit nicht so recht verstanden gefühlt.“
„Das tut mir leid“, erwiderte Tessa. „Aber es fällt mir eben auch schwer. Ich seh es nur als ein Stein auf dem Weg, der sich bald lösen wird, bestimmt. Aber wenn es dich so belastet, muss ich anders damit umgehen.“
Jess nickte und sagte dann: „Und was ist mit dir? Was ist mit dir geschehen letzte Nacht?“
Tessa schluckte. „Ich… ich habe die Nerven verloren“, sagte sie dann langsam. „Glaube ich jedenfalls. Ich war so sicher aufeinmal, dass du gegangen bist… dass es wieder so ist… und… ich dachte, ich schaffe das nicht noch einmal.“

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Jess seufzte schwer. „Du hast mir nie erzählt, wie schlimm das alles für dich gewesen ist. Ich finde, es wird Zeit, dass du das tust.“
Tessa schluckte. „Das fällt mir nicht leicht, ich will mir das alles gar nicht in Erinnerung rufen…“
„Ja, aber das ist nicht richtig. Es ist nun einmal geschehen“, sagte Jess sanft. „Und es gehört zu dir, zu uns…“
Tessa nickte langsam. „Muss ich jetzt darüber reden?“, fragte sie müde.
Jess schüttelte den Kopf. „Nein, nicht heute. Aber bald“, sagte er dann ernst und griff nach ihrer Hand. „Es ist wichtig für uns beide, verstehst du.“
Er lächelte sie aufmunternd an. „Ich will nicht, dass du eines Tages zusammen klappst, weil alles auf einmal hoch kommt…du bist auch nur ein Mensch, Tessa.“

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Tessa nickte langsam. „Ich fürchte, du hast recht. Ich verspreche dir, dass wir darüber reden. Noch heute. Nur jetzt fühle ich mich doch ziemlich müde.“
Jess nickte. „Dann legst du dich jetzt wieder ins Bett und ich räum das hier weg, dann komm ich zu dir. Lassen wir heute mal fünfe gerade sein. Ich schau nicht in die Zeitung und du rührst keinen Finger für die Uni, okay?“
Tessa lächelte. „Ja, machen wir es so. Ich bin eh zu schlapp, um nachzudenken.“
Sie stand auf und Jess nahm sie in den Arm.

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„Wir schaffen das doch, oder?“, flüsterte sie mit einemmal ängstlich.
Jess hielt sie ein Stück von sich ab und sah sie ernst an. „Natürlich tun wir das“, erwiderte er dann. „Du musst nur akzeptieren, dass es nicht einfach werden wird.“
Tessa nickte. „Ja, ich glaube, das habe ich inzwischen begriffen.“
Sie lächelte und küsste ihn. „Und jetzt ab ins Bett“, sagte er streng. Tessa lachte leise auf, folgte seiner Ermahnung jedoch widerstandslos.
Schläfrig kuschelte sie sich in die Kissen, während sie draußen das Geklapper der Teller vernahm. Obwohl es mitten am Tag war, dauerte es keine fünf Minuten und sie war wieder in einen traumlosen Schlaf gesunken.









Fortsetzung folgt.
 
Ha! Wusste ich´s doch :)

Guter Junge! Immer schön sauber bleiben ;)

Na mal sehen, was da nun als nächstes passieren wird. Bin ziemlich gespannt auf das Finale ...
 
stimmt, das finale... wegen mir könnte die fs jahre weitergehen.
schön, dass jess wieder da ist, ich war zwar überzeugt, aber ein restzweifel bleibt ja immer, dass er doch gegangen ist.
das er nun eine eigene wohnung haben will, überrascht mich zugegebenermaßen, aber vielleicht ist es wirklich auch ein logischer schritt, den ich grad einfach nicht ganz verstehe.

ich freu mich sehr auf die verbleibenden kapitel :hallo:
 
Also wieder mal ein super Kapitel Innad. Ich bin eigentlich auch überrascht, dass Jess in eine Wohnung ziehen möchte. Ich finde auch von Jess sehr nett, dass er sich um seine Freundin kümmert. Mach bitte schnell weiter ich möchte so gerne wissen, wie es weiter geht. Auf jeden Fall hast du einen super Schreibstil mach weiter so.

Täte gerne wissen wie es natürlich bei den anderen Personen weiter geht. Wo steckt eigentlich Tru? Auf jeden Fall mach mit den Personen weiter sowie auch wie geht es mit Jess und Tessa weiter?
 
@colabirne: Jaaa, er ist schon ein braver, gell :D


@Zahlencödchen: Noch ist ein bisschen Zeit bis zum Finale, aber es kommt auf jeden Fall noch dieses Jahr... vermutlich noch vorm Advent, wenn ich es zeitlich weiter so gut schaffe. Die genaue Kapitelanzahl ist mir selbst noch nicht hundertpro klar, aber viel ist es mal nicht mehr :) Ihr dürft also gespannt bleiben. Ich denke, es ist von Jess wirklich nur ein logischer Schritt... einfach auszubrechen, den Druck rauszunehmen. Ob die beiden das dann wirklich realisieren, steht ja nicht fest. Vielleicht hilft ihm ja wenigstens der Gedanke daran, dass so etwas grundlegend machbar wäre.


@crushboy: Die anderen Personen haben sozusagen ihre eigene Geschichte :) Hier geht es halt hauptsächlich um Tessa und Jess. Aber im Finale kriegt ihr schon noch einen kleinen Einblick darauf, wie es bei den meisten von den anderen sozusagen grob weitergegangen ist, ist doch klar.
Tru steckt übrigens immer noch da, wo sie hingegangen ist - in Amerika bei ihrem Patenkind und dessen Kind, das sie betreut. :)
 
Wow, Innad - Du scheinst Deine Übelkeit wohl überwunden zu haben, bei dem Tempo, das Du vorlegst! =) Komme ja gar nicht mehr nach.

Tja, Jess. Dass er irgendwann mal "platzt" vor unterdrücktem Frust, war ja anzunehmen. Hoffentlich findet er bald einen Job (und wenns nur Tellerwäscher ist), damit er nicht mehr das Gefühl von Nutzlosigkeit hat und dass er anderen zur Last fällt. Ich glaube, Menschen wie er können das wirklich nur schwer ertragen.
Und das Tessa nach all dem irgendwann mal zusammenbricht, war ja auch zu erwarten *OrakelOrakel* ;)

Finale? Hm. Aber die hundert machst Du doch wohl bitte voll. Dann können wir alle eine virtuelle Flasche Champagner köpfen.
Wie dem auch sei, ich bin sehr gespannt auf das Ende.
Ich glaube, ich muss eben grad noch mal das erste Kapitel lesen ...

LG!
 
Ich melde mich dann auch nochmal.
Auch wenn ich nicht auf deiner Benachrichtigungsliste stehe, lese ich jedes der von dir geschriebenen Kapitel mit viel Freude und Sorgfalt!
Ich bewundere dich echt, dass du eine Story über so einen langen Zeitraum immernoch im Auge behälst und aktiv weiterschreibst. :)
Ich glaube nicht, dass ich jemals so viel Geduld haben werde!
Irgendwie macht es mir Angst, wenn ich lese, dass bald das "große" Finale kommt.
Ich freue mich immer so auf die Kapitel und ohne die Story wird es schon was anders sein :D
 
@julsfels: Hui, obs die hundert werden, weiss ich nicht... will das ganze letztlich auch nicht unnötig in die Länge ziehen. Übelkeit ist zwar übrigens noch nicht so recht überwunden, aber ich komme einigermaßen klar, ja ... ;)



@xBoux: Naja, irgendwie wird diese Schreiberei dann ein Teil des Alltags und in der Zeit, in der ich nicht schreiben konnte, hat mir das auch wirklich gefehlt. Ich bin auch jetzt schon echt wehmütig, wenn ich dran denke, dass ich bald ohne Jess, Tessa und co. "klarkommen" muss :)
 
Kapitel 92
Feierlichkeiten



Tessa warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und rückte sich noch einmal ihr breites Haarband, mit dem sie sich ihre Mähne aus dem Gesicht gebunden hatte, zurecht. Dann war sie zufrieden mit dem, was sie sah, strich ihren Rock glatt und ging hinüber ins Wohnzimmer. Es war ordentlich und gemütlich wie immer, und doch rückte Tessa noch hier und da etwas zurecht, bis sie das vertraute Einschnappen des Türschlosses hörte und aufsah.
Jess kam lächelnd zur Tür herein.
„Es riecht wunderbar hier!“, rief er aus. Tessa lächelte und ging ihm mit weit geöffneten Armen entgegen.
„Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz!“, rief sie.

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Jess zog sie in die Arme und küsste sie. „Alles Gute zum Geburtstag!“, sagte Tessa lächelnd zwischen zwei Küssen. „Wie war die Arbeit?“
„Gut, nichts besonderes, wie immer eben“, erwiderte Jess lächelnd und musterte Tessa bewundernd. „Du siehst toll aus.“
„Naja, du hast ja auch nur einmal im Jahr Geburtstag, oder? Und immerhin ist dies der erste, den wir wirklich zusammen feiern können.“
Sie lächelte ihn liebevoll an, was er erwiderte.
„Stimmt“, sagte er dann nachdenklich. „Ich habe wohl noch nie einen so schönen Geburtstag gehabt.“
„Und er fängt erst an“, lachte Tessa und küsste ihn noch einmal stürmisch.

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Dann warf sie einen Blick zur Uhr. „Ach je, der Kuchen muss aus dem Ofen!“
Sie ließ Jess los und eilte in die Küche. Verwundert folgte dieser ihr und sah zu, wie sie vorsichtig den Backofen öffnete.
„Mhh, das ist es also, was so köstlich duftet!“, sagte er und fächelte sich genießerisch Luft zu.

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Er ging einige Schritte näher zum Ofen und beäugte das darin befindliche Kunstwerk.
„Und nun sag mir mal, wo du den Bäcker versteckt hast“, zwinkerte er Tessa zu, woraufhin diese ihm einen empörten Seitenhieb verpasste.
„He! Was soll das denn! Den habe ich ganz allein gebacken!“
Jess sah sie amüsiert an.
„Du? Im Leben nicht!“
Tessa verschränkte empört die Arme. „Oh doch, ja – ich bin durchaus in der Lage, mir ein Backbuch aus dem Schrank zu nehmen und nach Rezept zu backen, mein Lieber!“
Sie streifte sich Handschuhe über und nahm den duftenden Kuchen aus dem Ofen. Jess sah sie erstaunt an.
„Das ist dein Ernst, nicht wahr?“

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Tessa warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu und stellte den duftenden Kuchen dann auf der Arbeitsfläche zum Auskühlen ab.
„Und für den ersten Versuch ist er mal richtig gut geworden! Man merkt, dass du in einem Café arbeitest!“, rief Jess aus und wollte mit dem Finger etwas von der Marmeladenfüllung naschen, doch Tessa schlug ihm unsanft auf die Finger.
„Der ist noch zu heiß und außerdem gibt es ihn gleich zum Kaffee, wenn meine Eltern vorbeikommen! Und einen anderen hab ich nicht, also lass die Finger davon, verstanden?“
Jess sah sie liebevoll an. „Du hast dir solch eine Mühe gegeben!“, sagte er zärtlich und zog sie an sich.

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Tessa lächelte. „Naja, wie ich schon sagte – man hat nur einmal im Jahr Geburtstag, nicht wahr?“
„Ich liebe dich“, sagte Jess schlicht.
Tessa lächelte und fuhr ihm durch sein wirres Haar. „Das ist auch empfehlenswert für dich“, zwinkerte sie, wurde dann aber ernst. „Und mir geht’s bei dir genauso, wenn du es wissen willst.“
„Will ich“, lächelte Jess und küsste sie sanft.

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Tessa wehrte sich nicht, als seine Küsse dringlicher wurden und gab sich dem Gefühl hin, von Jess gehalten und geborgen zu sein – etwas, das sie in den letzten Monaten erst nach und nach anzunehmen gelernt hatte.
Während sie sich neben dem dampfenden Kuchen küssten und küssten, schossen beiden die Erinnerungen an die letzten Monate durch den Kopf. Es war nicht immer einfach gewesen. Allzu oft hatte es Streit gegeben, und einige Male hatten beide gedacht, es gäbe kein Weiterkommen mehr.

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Aber irgendwie hatten sie es dann doch immer geschafft, sich wieder zu versöhnen, sich auszusprechen und sich auf die ein oder andere Weise zu arrangieren.
Wie genau das funktioniert hatte, war ihnen beiden teilweise selbst ein echtes Rätsel. Vielleicht war es einfach das Wissen um all das, was sie bereits durch gemacht hatten. Dennoch waren die ersten Monate schwer zu bewältigen. Es war nicht einfach, sich aneinander zu gewöhnen. Tessa merkte bald, dass sie beispielsweise viel länger schlief als Jess, der eher ein Frühaufsteher war. Wenn er dann im Wohnzimmer zu poltern anfing, war für sie nicht mehr an Schlaf zu denken. Dabei saß sie oft abends noch viel länger als er wach am PC, um etwas für die Uni zu tun. Das waren alles nur „Kleinigkeiten“, die in der Summe aber gerne den ein oder anderen mächtigen Streit aufwühlten – und im Streiten waren beide zu Beginn nicht allzu gut gewesen. Gerade Tessa hatte es anfangs immer als eine Art „Scheitern“ empfunden, wenn sie sich einmal wieder die schlimmsten Dinge an den Kopf geworfen hatten. Doch einige Wochen nach ihrem riesigen Streit und der Nacht, in der Jess nicht nach Hause gekommen war, hatte sich die Lage allmählich entspannt und Weihnachten hatten sie friedlich zusammen verbracht.

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Dann war im Januar endlich etwas Entspannung in den Konflikt um Jess´ Arbeitslosigkeit gekommen. Zum Glück hatte er mit seiner Therapeutin besprochen, vorerst nicht auszuziehen. Diese Situation einfach auch einmal auszuhalten war sozusagen ein Teil seiner Rehabilitation, hatte dies ihm klar gemacht. Und mithilfe der Drogenberatungsstelle – die sich um rehabilitierte Süchtige kümmerte – war es Jess schließlich gelungen, einen einfachen Job in einem Elektronikfachmarkt zu finden.Da er sehr zuverlässig und gewissenhaft zu arbeiten verstand, war er dort bald anerkannt und geschätzt – und seine Vergangenheit war nicht mehr wichtig.

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Die Erfahrung hatte ihm enormen Auftrieb gegeben. Er sah ein, dass es doch Chancen auf der Welt gab – wenn man sie sich auch hart erkämpfen musste.
Nun fiel es ihm auch leichter, sich auf die Schule zu konzentrieren, denn seit Anfang des Jahres holte er seinen Realschulabschluss nach. Er kam recht gut voran und schaffte es, bis zum Sommer seine Prüfung erfolgreich abzuschließen, so dass er weiter in Richtung Abitur arbeiten konnte.
Dies fiel ihm zwar nun schwerer als er gedacht hätte – denn immerhin war er schon Mitte zwanzig und das logische Denken in Zusammenhängen hatte er lange nicht mehr trainiert … doch mit eiserner Disziplin besuchte er jeden Abend die Kurse und ackerte sich durch den Stoff, ohne sich Pausen zu gönnen. Und er merkte, dass ihm dies gut tat. Die Schule gab ihm eine lange vermisste Struktur zurück, und das Gefühl, etwas zu bewegen, für etwas gut zu sein. Die Arbeit half ihm dabei zusätzlich.

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Nebenbei vernachlässigte er seine Malerei nicht. Es war ihm ein willkommener Ausgleich, und da er nur etwa fünfundzwanzig Stunden in der Woche arbeitete, und auch die Schule ihm nicht jede Freizeit raubte, hatte er so einige Stunden in der Woche, in der er sich ganz seiner Muße hingeben und entspannen konnte.
Tessa fiel dabei auf, dass Jess´ Bilder immer vielfältiger, froher und lebendiger wurden, und sie dachte immer öfter daran, dass sein Talent viel zu groß war, um es nur für ein „Hobby“ zu vergeuden.

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Doch Jess selbst wollte davon nicht viel wissen. Für ihn war das Fernziel nun erst einmal, das Abitur zu schaffen… und dann vielleicht eine Lehre oder ein kurzes Studium anzufangen. Schließlich wollte er auch einmal genug Geld verdienen, um eine Familie zu ernähren… auch wenn dies noch ferne, ferne Zukunftsmusik war und kaum zur Sprache kam.
Tessa selbst hatte ebenfalls das ihre getan, um die belastende Situation der Abhängigkeit von ihren Eltern zu entspannen. Seltsamerweise hatte sie den nötigen Impuls erst bekommen, als Jess anfing, eigenes Geld zu verdienen und die Haushaltskasse aufzustocken. Nun konnte sie allmählich begreifen, wie seltsam das Gefühl im vorigen Herbst für ihn gewesen sein musste, von ihr zu leben. Zwar kamen die meisten Einnahmen natürlich noch von ihrer Seite – aber eben doch nicht, denn ihre Eltern bezahlten nach wie vor fast alles. Nun war es Tessa, die sich ein wenig nutzlos und „ausgehalten“ fühlte. Dies gab ihr den nötigen Impuls, sich zumindest für wenige Stunden die Woche nach einem Job umzusehen. Sie war bald fündig geworden und bediente seither seit dem Frühjahr in einem kleinen, netten Café in der Nähe der Universität.

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Die Arbeit war natürlich nicht weiter anspruchsvoll, aber sie war in Ordnung und wurde recht gut bezahlt. Neckend kitzelte Jess Tessa am Ohr. „Woran denkst du?“, fragte er leise. Sie lächelte.
„Ich weiß nicht… an das vergangene Jahr irgendwie. Wir haben es doch ganz gut geschafft, oder?“
„Ich denke ja“, erwiderte Jess lächelnd. „Auch wenn ganz schön oft die Fetzen geflogen sind.“
Beide lachten leise auf. „Ja, es war nicht immer einfach“, räumte Tessa ein. Und es war auch heute noch immer nicht einfach, zumindest manchmal. Tessa stellte immer wieder fest, dass Jess sein Leben lang würde süchtig bleiben. Es war eine unheilbare Krankheit – sie wurde nur schwächer und schwächer. Aber auch Jess musste manchmal zugeben, dass er sich gerade in stressigen und anstrengenden Situationen sehr nach einem Schuss sehnte… so abstrus der Gedanke auch sein musste. Es war noch undenkbar für ihn, nicht mehr zweimal die Woche zur Therapie zu gehen, denn alleine hätte er die Dämonen in sich nicht besiegen können.
„Eines ist aber klar“, sagte er leise und sah Tessa liebevoll an. „Wenn ich nicht ein Ziel vor Augen gehabt hätte, wäre ich nie soweit gekommen. Und dieses Ziel warst und bist eben einfach du.“
Er küsste sie noch einmal innig.

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Tessa lächelte ihn an und löste sich dann aus seiner Umarmung. „Ich muss den Tisch decken“, erklärte sie schulterzuckend. „Meine Eltern kommen in einer Viertelstunde.“
„Ich helf dir schnell“, sagte Jess bereitwillig. Gemeinsam hatten sie den Tisch schnell gedeckt und nur wenige Minuten später klingelte es an der Tür.
Tessa sah hinunter auf die Straße, die von der nachmittäglichen Augustsonne in helles Licht getaucht war.
Sie winkte ihren Eltern kurz zu und betätigte dann den Summer.
Kurze Zeit später saßen alle zusammen am Tisch und lobten überschwänglich Tessas Kuchen.

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„Hach, Kinder“, seufzte Tessas Mutter nach einer Weile zufrieden. „Ich freu mich wirklich, dass wir heute alle so schön zusammen sitzen können. Geht es euch denn gut?“
Tessa nickte. „Mir schon. Ich genieße meine Ferien.“ Sie zwinkerte Jess zu.
„Du hast es gut“, erwiderte dieser und schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund. „Die Abendschule hat schon wieder seit Anfang August angefangen.“

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„Wie läuft es mit dem Lernen, Jess?“, erkundigte sich Tessas Vater so zurückhaltend wie möglich, denn er wollte nicht den Eindruck erwecken, Jess unter Druck zu setzen. Einige Male hatte er in den letzten Monaten zu eindringlich nach dessen Fortschritt in Schule und Beruf gefragt, was ihm einmal einen handfesten Streit mit Tessa eingehandelt hatte, die ihm klar zu machen versuchte, dass man Jess nicht unter Druck setzen durfte.
Dies hatte Herbert Wagner nach einer Weile auch eingesehen – und eigentlich hatte sich der junge Mann ja auch großartig entwickelt. Herbert musste zugeben, dass er seiner Tochter nach wie vor eine etwas „bessere Partie“ gewünscht hätte, aber Jess´ Charakter war wirklich einwandfrei, vor allem wenn man bedachte, wie wenig gute Kinderstube und vernünftige Erziehung er genossen hatte. Eigentlich konnte es einem nur leid tun, wenn ein Junge mit solchen guten Anlagen derart vernachlässigt wurde. Somit war es für ihn und Amanda schon lange klar, dass sie beide Tessa und Jess so weit es ging unterstützen wollten.

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„Es läuft ganz gut“, gab Jess nun langsam zur Antwort. „Ich muss zugeben, dass es oft schwerer ist als ich dachte. Gerade diese ganzen naturwissenschaftlichen Fächer fallen mir wirklich schwer.“
„Na sowas!“, sagte Herbert erstaunt. „Das war immer mein Spezialgebiet.Ich dachte, das inge den meisten Männern so.“
„Nun ja… ich glaube, Jess Talente liegen eher im musischen Bereich“, fiel Amanda sanft ein. „Wenn ich mir allein dieses herrliche Portrait von Tessa anschaue!“ Sie musterte das erst seit einigen Tagen an der Wand angebrachte Bild bewundernd. „Jess, können Sie mir das noch einmal malen, meinen Sie, das geht? Es ist wirklich wunderschön.“

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Jess nickte. „Ja, ich kann es versuchen. Ich kann aber auch einfach noch eines malen, vielleicht ein bisschen anders.“
„Du weißt ja, echte Künstler produzieren nur Unikate“, zwinkerte Tessa.
Alle lachten auf.
„Ich bin aber gar kein echter Künstler“, erwiderte Jess ebenfalls zwinkernd. „Dafür bin ich doch viel zu normal, oder?“
„Das stimmt allerdings“, pflichtete Amanda bei.
Alle taten sich nun wieder am Kuchen gütlich, bis es plötzlich an der Tür schellte.
Erstaunt sah Tessa auf.
„Nanu?“, sagte sie überrascht und lächelte Jess an. „Erwartest du noch jemanden, von dem du mir nichts gesagt hast?“

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Doch Jess schüttelte den Kopf. „Nein, keineswegs.“
Tessa stand auf und warf einen Blick zum Fenster hinaus. Verwirrt drehte sie sich zu ihren Eltern um, die nun ebenfalls aufstanden und ihrem Blick folgten.
Aufgeregt sah Amanda ihren Mann an.
„Ich glaube, du solltest dringend öffnen, Tessa“, sagte sie und winkte den Personen an der Haustür zu.
Jess und Tessa jedoch sahen sich verwirrt an.
Wer mochte das nur sein?









Fortsetzung folgt!
 
Wirklich großartig geschrieben nur schreib wieder schnell weiter, wer kann es an der Tür sein, ich schätze Tru vielleicht mach schnell weiter immer ich bin so gespannt.

Sag mal heißt nicht Tessas Vater Artur weil da Herbert steckt ich frag ja nur deswegen frag ich dich nur. Aber wirklich wie immer sehr guter Schreibstil und super geschrieben aber schreibe schnell weiter bin so gespannt wer es an der Tür ist. Mach weiter so Innad super geschrieben mach nur weiter so.
 
Wie immer schön geschrieben! :)
Bin echt gespannt wer nun an der Tür ist.

Würde übrigens auch gerne benachrichtigt werden. ;)
 
Hey,
entschuldige bitte, dass ich so lange keinen Kommentar hinterlassen habe. Dafür habe ich aber alle Kapitel gelesen, nein regelrecht verschlungen habe ich sie. Toll, dass Tessa und Jess jetzt zusammen leben und es trotz aller Schwierigkeiten scheinbar auch ganz gut läuft. Das Kapitel "Eiskalte Angst" war meiner Meinung nach absolut genial geschrieben. Ich konnte total mitfühlen, wie es Tessa geht. Einfach toll, wie du dich in deine Figuren hineindenkst und uns ihre Gedanken mitteilen kannst.

Liebe Grüße
 
Ich muss die FS auf unbestimme Zeit unterbrechen. Am Sonntag habe ich unseren kleinen Sohn geboren. Er ist kurz nach seiner Geburt friedlich in unseren Armen gestorben.

Ich denke, ihr versteht, dass ich zurzeit nicht in der Lage bin, hier weiterzumachen.
 
Mein herzlichstes Beileid! Deine Nachricht hat mir ein Stich ins Herz verpasst :schnief:. Ich hoffe, du kommst irgendwann darüber hinweg, aber bis dahin:
Nicht in Trauer versinken! Denk daran, dass es immer Leute gibt, die bei dir sind :)
Und ich bin mir sehr, sehr sicher, dass jeder verstehen kann, dass es hier für längere Zeit nicht weitergeht.

MFG LJ :ciao:
 
Mein herzliches Beileid! Tut mir sehr leid, ich hoffe es geht dir gut, ich verstehe dass du nicht im Moment weiterschreiben kannst, ich verstehe dich sehr gut. Würde dich am liebsten trösten. *Dir ein Taschentuch reich*
 
Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll, sitze hier gerade mit
Tränen in den Augen!:schnief:
Es tut mir sehr sehr leid, dass dies geschehen ist.
Auch wenn euer kleines Sternchen schon so früh diese Welt wieder verlassen musste, so hat er eure ganze Liebe gespürt und wird immer in euerem Herzen sein!
Ich wünsche Euch, dass ihr es schafft, damit klarzukommen;irgendwie und ganz viel Kraft das durchzustehen! Lebt eure Trauer und lasst euren Gefühlen freien Lauf!
Und denkt immer daran,ihr seid nicht alleine!

Das es hier vorerst nicht mit der FS weitergeht ist verständlich und nachvollziehbar!

Ich wünsche Euch alles Gute!

traurige Grüße
chrissy
 
Liebe Innad,
ich las die FS bisher leise mit und sie hat mir viel Freue gemacht.
Das du jetzt nicht mehr weiter schreiben kannst ist vollkommen verständlich. Keiner wird es nicht verstehen.

"Nein", das ist was mir beim lesen deiner Nachricht durch den Kopf ging!
Ich finde keine Worte die passend wären, es ist einfach nur furchtbar traurig.

Mein aufrichtiges Beileid !
Ich wünsch euch ganz viel Kraft!

*Ihr, die ihr mich so geliebt habt,
seht nicht auf das Leben, das ich beendet habe,
sondern auf das, welches ich beginne *

glg Barbara
 
Auch von mir ein herzlichstes Beleid!
*in den Arm nehm*
Sowas ist immer ganz furchtbar.
Und da kann die Story warten!
Ich hoffe du erholst dich bald :)

Ganz liebe Grüße & viel Kraft wünsch ich euch!
 
Liebe Innad,

das ist ja eine schreckliche Nachricht... es tut mir sehr Leid, dass euch das wiederfahren musste. Nimm dir Zeit und verabschiede dich in aller Ruhe... :schnief:
Wie alle anderen hoffe ich, dass ihr diesen Schock irgendwie verarbeiten könnt und es euch bald irgendwie besser geht.

Ich wünsche euch viel Kraft und Zuversicht... euren Kleinen werdet ihr stets im Herzen tragen, das ist das wichtigste.

:ciao:
 
Liebe Innad,

als ich eben deine letzte Nachricht las, sind mir Tränen in die Augen getreten. Ich wünsche dir alle Kraft der Welt dieses schlimme Erlebnis verarbeiten zu können.

Liebe Grüße
 
Liebe Innad,

irgendwie gibt es für sowas gar keine Worte des Mitgefühls, die mir stark genug erscheinen.
Meine Großmutter, die eine einfache, aber kluge Frau war, sagte einmal zu mir: "Den Mann nimmt es einem von der Seite, aber ein Kind reißt es einem mitten aus dem Herz."
Ich vermute, dass nur jemand, der den gleichen Schmerz erlebt hat, jetzt wirklich erfassen kann, was Du durchmachst.
Aber vielleicht ist es Dir ja ein kleiner Trost, dass hier viele in Gedanken bei Dir sind.

Fühl Dich lieb gedrückt, und ich wünsche Dir viel Kraft und Mut, und dass es Dir bald wenigstens etwas besser geht.
 
Danke für all eure Beleidswünsche.

Ich bin noch nicht so recht wieder da, habe mich aber ein wenig aufgerafft und die Tage eine Fortsetzung geschrieben, die ich hier natürlich auch einstellen möchte.

Es sind nur noch sehr wenige Kapitel bis zum Finale und ich hoffe, ihr seid noch dabei und weiterhin gespannt darauf.
 
Kapitel 93
Weggabelungen




Tessa sah ihre Mutter verwirrt an.
„Ich weiß nicht einmal, wer das ist“, sagte sie dann langsam. Nun stand auch Jess auf, kam zu ihr, griff sie an den Schultern und spähte über diese hinaus auf die Straße hinunter.
Amanda Wagner erwiderte derweil nichts und ging stattdessen entschlossen zum Summer, drückte diesen und rief ein fröhliches: „Kommt in den zweiten Stock!“ in die Gegensprechanlage.
Dann rannte sie wie der Wind durch die Küche in den Wohnungsflur und öffnete die Türe. Es waren Stimmen zu hören, die weder Tessa noch Jess zuordnen konnten. Schließlich rief Amanda nach draußen, dass beide doch in die Küche kommen sollten.
Sie taten wie geheißen und musterten erstaunt die rothaarige Dame, die in Begleitung eines schwarzhaarigen Herren mit einem perfekt gestutzten Bart in die Küche traten.
„Guten Tag!“, sagte die Frau freundlich und lächelte beide an, während der Mann mit einer etwas herrischen Geste die Küche betrat und die Einrichtung musterte.

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Verwirrt sagten Tessa und Jess wie aus einem Mund: „Hallo!“ und wussten nicht recht, was sie nun tun sollten – immerhin waren diese Menschen ihnen gänzlich fremd.
Tessas Mutter jedoch schien beide umso besser zu kennen. Sie kam nach ihnen in die Küche und umarmte die Frau herzlich.
„Karin! Wie schön, dass es geklappt hat!“
Die rothaarige Frau lächelte und sagte nur: „Ich hab es dir ja versprochen, Amanda!“

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Nun wandte Tessas Mutter sich ihrer Tochter zu und stellte vor: „Das ist meine Tochter Tessa, Karin. Und der junge Mann ist Jess.“
Die Frau lächelte beide freundlich an. „Sie sehen Ihrer Mutter ähnlich, Tessa“, stellte sie dann gütig fest.
„Nun, dann sollten wir uns auch vorstellen, nicht wahr?“, ergriff der schnittige Mann nun das Wort, marschierte entschlossen auf Jess zu und reichte ihm die Hand.
„Ich nehme an, Sie sind der junge Mann, dessen interessante Kunstwerke ich zu bestaunen die Ehre hatte? Mein Name ist Eduard van Bircken.“

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Verwirrt erwiderte Jess den resoluten Gruss und schüttelte dem Mann die Hand, der nun fortfuhr zu erwähnen: „Diese bezaubernde Frau hier ist meine verehrte Gattin, wenn ich ebenfalls vorstellen darf. Ich habe gehört, Sie haben heute Geburtstag, Jess – ich darf Sie doch bei Ihrem Vornamen nennen, nicht wahr? Nun, dann meinen herzlichen Glückwunsch!“
Völlig durcheinander stammelte Jess: „Nun… vielen Dank, Herr van… van…“
„Bircken“, half dieser ihm unbeeindruckt weiter und sah sich dann entschieden um. „Nun – haben Sie hier noch weitere Ihrer Werke, die ich mir anschauen könnte?“

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„Werke?“, wiederholte Jess verwirrt. „Ich… weiß nicht ganz, was Sie meinen…“
„Nun, darum sind wir doch hier, nicht wahr“, erwiderte Herr van Bircken nun selbst leicht verwirrt und warf seiner Frau fragende Blicke zu, die lächelte und ihm zu nickte.
„Ihre Werke“, wiederholte dieser daraufhin. „Ihre Bilder, von denen ich schon einige sehr vielversprechende bestaunen durfte. Ich wollte mir einige weitere davon anschauen und mit Ihnen über die weiteren Möglichkeiten sprechen.“
Jess sah ihn weiterhin verwirrt an, lachte dann verunsichert auf und antwortete: „Nein – nein, Sie müssen mich offenbar mit jemandem verwechseln, Herr van Bircken.“

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Nun fiel Amanda in den Dialog ein: „Ich muss mich entschuldigen, Herr van Bircken… ich habe Jess nichts davon erzählt, dass ich Ihnen einen Teil seiner Bilder zur Verfügung gestellt hatte.“
Verwirrt sahen sie nun alle zugleich an, woraufhin sie in wenigen Worten erklärte: „Karin – also Frau van Bircken ist seit langem eine gute Kundin in meinem Salon und neulich unterhielten wir uns über Jess´ außergewöhnliches Talent und sie erklärte sich bereit, Ihrem Mann – Ihnen, Herr van Bircken – einige Exemplare der Zeichnungen, die ich von ihm geschenkt bekommen hatte, zu zeigen und seine Meinung darüber anzuhören. Herr van Bircken ist Galerist“, fügte sie an Jess und Tessa gewandt hinzu, deren Gesichter nun vor erstauntem Schrecken und Verblüffung gezeichnet waren.
„Ich wollte euch damit überraschen, zum einen, zum anderen dachte ich, es würde Jess nur nervös machen, wenn er davon weiß… und es war nicht ganz sicher, ob die beiden heute die Zeit finden, herzukommen. Ich wollte nichts verraten, damit ihr nicht enttäuscht seid.“
Karin van Bircken lachte herzlich. „Die Überraschung scheint uns gelungen zu sein!“
Ihr Ehemann, der dem ganzen mehr verwirrt als aufmerksam zugehört hatte, wandte sich nun wieder Jess zu und sagte entschieden: „Wie dem auch sei – Ihre Bilder sind ganz hervorragend gearbeitet, Jess, und ich möchte in aller Bescheidenheit behaupten, dass ich dies gut beurteilen kann, nach mehr als dreißig Jahren in dieser Branche.“

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Jess schluckte. „Das… das ehrt mich sehr, Herr van Bircken.“
„Wem haben Sie Ihre Werke schon alles vorgelegt. Wo wurden sie bisher ausgestellt?“, wollte dieser ohne Umschweife wissen.
„Vorgele… ausgestellt?“, wiederholte Jess zerstreut. „Ich… ich… niemandem, ehrlich gesagt.“
„Niemandem?“, wiederholte sein Gegenüber ungläubig. „Das ist ja ungeheuerlich! Dann habe ich hier wohl einen Rohdiamanten entdeckt, was?“
Er bleckte seine weißen Zähne und lachte dröhnend auf. Tessa schaute von ihm zu Jess und wieder zurück und fühlte sich für einen Moment, als sei sie in einem völlig durchgedrehten, aber aufregenden Film gelandet, in dem sie halb Zuschauer- halb Mitdarstellerin war.
„Nun – Jess, dann würde ich jetzt gerne Ihre weiteren Werke sehen“, sagte Herr van Bircken nun. Jess stand einen Moment unbeweglich und schien seine Zunge verschluckt zu haben, was auch seinem Gegenüber auffiel.
„Oder möchten Sie das etwa nicht?“, fragte dieser dann auch prompt, was Jess sofort aus seiner Starre aufwachen ließ. Schnell lächelte er und sagte: „Aber… doch… gerne… ich hab die meisten im Wohnzimmer, Sie können Sie gerne sehen. Folgen Sie mir doch einfach.“

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Wie eine kleine Prozession folgten sie ihm nun alle in den Wohnraum, wo Tessas Vater immer noch in aller Seelenruhe am Tisch saß, die Neuankömmlinge freundlich begrüßte und so tat, als sei er in alles eingeweiht.
Jess reichte Herrn van Bircken eine Mappe mit seinen Zeichnungen der letzten Wochen. Jene blätterte dieser mit undefinierbarer Miene durch, während ihm alle wie gebannt zu sahen. Dann stand er auf und stolzierte an der Reihe aufgehängter Portraits und Malereien vorbei, die Jess in den letzten Monaten hier aufgehängt hatte. Vor Tessas Portrait blieb er besonders lange stehen und fing letztlich sogar an, sich nachdenklich mit den Fingern in seinem Bart herum zu fahren, während ihn weiterhin alle gespannt ansahen und auf sein Urteil warteten.

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Schließlich drehte er sich energisch zu Jess um und sagte mit fester Stimme: „Das ist großartig, wirklich großartig! Das einzige, was ich zu bemängeln habe, ist, dass Sie noch zu breitfächerig arbeiten. Sie brauchen einen eigenen Stil, eine Richtung, aber Sie sind noch jung und werden sich noch festlegen können. An welchen Kunsthochschulen haben Sie studiert?“
Jess schien um ganze fünf Nummern zu schrumpfen, während Tessa ängstlich den Atem anhielt. Doch Frau van Bircken zog ihren Mann sacht zur Seite und raunte ihm wenige Worte zu. Dieser sah sie verblüfft an und sagte dann: „Nein sowas!“, woraufhin sie leise flüsterte: „Aber Liebling, davon habe ich dir doch schon mehrmals erzählt…“Nun musste Tessa sich ein Lachen verkneifen, auch wenn es in der aktuellen Situation alles andere als passend erschien.
Herr van Bircken wandte sich nun wieder Jess zu und sagte: „Nun – Ihnen fehlen noch die nötigen Studien, das ist klar. Aber gerade weil diese Ihnen fehlen, zeigt sich Ihr Talent noch eindrucksvoller! Wie Sie die Farben und Lichter kombinieren, lässt eigentlich auf jahrelange Studien in diesem Bereich schließen! Dass Sie noch Ihren Stil suchen müssen, ist klar – aber Ihr Talent ist unabstreitbar!“

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Jess bedankte sich verlegen, dann breitete sich wieder Stille aus und Herr van Bircken starrte die Bilder erneut tief in Gedanken versunken an.
Dies dauerte einige Minuten, dann drehte er sich erneut ruckartig zu Jess und sagte laut: „Machen wir es doch so, mein Lieber – ich mache Ihnen ein Angebot. Wir stellen einige Ihrer Bilder in meiner Galerie aus, in einer Art Vernissage, aber erst in einigen Monaten, damit Sie noch weitere Werke in ein- und demselben Stil produzieren können. Desweiteren möchte ich Ihnen den Besuch einer Kunstakademie nahe legen. Was halten Sie davon?“
Jess starrte sein Gegenüber verwirrt an, bis Tessa ihn sachte anschubbste.
„Ich… Herr van Bircken… das wäre… großartig, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll… nur…“
„Nur?“, wiederholte dieser skeptisch.
„Ich kann leider nicht studieren gehen“, sagte Jess nun mit hängenden Schultern. „Noch habe ich kein Abitur, und bis es soweit ist, wird einige Zeit vergehen… außerdem… ist so ein Besuch teuer und…“
Herr van Bircken jedoch winkte ab. „Schnickschnack! Denken Sie, ich wüsste nicht, dass Künstler wie Sie in der Regel arm wie die Kirchenmäuse sind? Das macht einen Künstler in den Anfängen offenbar erst aus!“ Er lachte erneut dröhnend auf und fuhr dann fort: „Und Abitur? Wofür soll das gut sein? Ich selbst habe davon nie etwas gehalten und demzufolge auch selbst keines hinter mich gebracht! Es gibt private Kunsteinrichtungen, die wesentlich effektiver lehren und denen ein solcher Abschluss nicht halb so wichtig ist wie den staatlichen Einrichtungen! Ich möchte Ihnen eine Art Tauschhandel vorschlagen – Sie arbeiten die nächste Zeit in meiner Galerie, ich finanziere Ihnen dafür gerne Ihre Studien! In weniger als zwei Jahren haben Sie damit abgeschlossen. Sie werden Ihre Werke in meiner Galerie immer wieder ausstellen und bekommen einen fairen Provisionspreis an den Gewinnen. Was halten Sie davon?“

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Tessa starrte erst Herrn van Bircken, dann Jess ungläubig an. Ihre Gedanken purzelten nur so in ihrem Kopf herum. Hatte sie sich da gerade verhört? War das ein schriller Traum?
Jess schienen ähnliche Überlegungen durch den Kopf zu gehen und Tessa wurde mit einemmal bewusst, dass der Galerist immer noch auf eine Erwiderung auf sein großzügiges Angebot wartete.
Für einen Moment wurde es Tessa angst und bange – was, wenn sich nun wieder Jess´ vermaledeiter Stolz melden und er das Angebot ausschlagen würde, weil er dachte, all dies sei nur Mitleid?
Sie betete inständig, er möge zumindest darüber nachdenken – in aller Ruhe. Auf der anderen Seite – was gab es da schon nachzudenken? Dieser zugegebenermaßen etwas seltsame, aber durchaus sympathische Mann tauchte hier gerade wie ein rettender Engel aus dem Nichts auf und machte ihm ein durchaus vernünftiges Angebot, etwas, das für Jess der Schritt in ein besseres, selbstbestimmtes Leben mit einer Beschäftigung, die ihm Spaß machte und sein Talent darstellte, bedeuten konnte! So etwas konnte er nicht abschlagen!
Jess schien nun ebenfalls die Sprache wiedergefunden zu haben und sagte langsam: „Herr van Bircken… ich weiß nicht, ob ich so etwas annehmen kann!“
„Papperlapapp!“, rief dieser aus. „Sehen Sie mich an, Jess – denken Sie wirklich, ich bin ein Mann, der etwas verschenkt? Machen Sie sich keine Illusionen, ich halte nicht zu viel von Nächstenliebe…“, fuhr er fort, woraufhin seine Frau lächelnd einfiel: „Du bist aber auch kein Unmensch, Eduard… verschreck den jungen Mann nicht.“
Herr van Bircken sah seine Frau irritiert an und fuhr dann unbeeindruckt fort: „Ich bin vor allen Dingen ein Geschäftsmann, Jess, und ich finde daran nichts verwerfliches. Ich erkenne in Ihren Werken ein großes Maß an Talent, das – richtig gefördert – zu echten Erfolgen führen kann. Sie malen sehr lebensnah und doch mit einem deutlichen künstlerischen Akzent, das mögen die Menschen, haben Sie schon immer gemocht. Wenn Sie noch einige technische Tricks und Kniffe mehr beherrschen, werden Sie sich mit Ihren Werken einen Lebensunterhalt verdienen können – und wenn ich Ihre Werke ausstelle und maßgeblich am Gewinn beteiligt bin, ist das für uns beide eine Win-Win-Situation.“

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„Und ich mache Ihnen nichts vor – ich bin dabei der deutlichste Gewinner. Die paar Studiengebühren, die ich zu entrichten habe für Sie, fallen da nicht ins Gewicht, denn wenn ich Sie auf die Schulen bringe, so brauchen Sie nicht zu glauben, dass dies zum selben Entgelt geschehen wird, wie zu dem, das Sie entrichten müssten. Sie sind sicher kein naiver Mensch, ich denke, Sie könnten sich das denken. Außerdem werden Sie für mich arbeiten – und zwar zu einem weitaus geringeren Lohn als ich meinen anderen Angestellten zahle. Sie zahlen Ihre Studiengebühren sozusagen selbst, gewinnen aber an Erfahrung und haben das Privileg, Ihre Werke nach Absprache mit mir auszustellen und an deren Verkauf zu fairen Bedingungen beteiligt zu werden. Das wird Ihnen fürs erste reichen, um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, vielleicht sogar für mehr. Nun – was sagen Sie?“
Jess schien diese Flut an Informationen erst einmal verdauen zu müssen, und alle sahen ihn gespannt an, bis er schließlich seine Hand ausstreckte und die von Herrn van Bircken schüttelte.
„Ich willige ein, Herr van Bircken!“, sagte er mit erstaunlich fester Stimme. Tessa dachte, man müsse den Stein vom ihrem Herzen fallen hören.
Amanda und Herbert kamen nun zu Jess und gratulierten ihm erfreut. Tessa stand jedoch still einige Meter entfernt und beobachtete das ganze Schauspiel, völlig geplättet von den Ereignissen der letzten Minuten. Herr van Bircken verabschiedete sich nun ohne jeden Umschweif, versprach, Jess in den nächsten Tagen wegen der Einzelheiten anzurufen und marschierte dann nach einem allgemeinen Gruß nach draußen, während seine Frau Jess herzlich die Hand schüttelte, Amanda umarmte und Tessa freundlich zunickte. Dann verließ auch sie die Wohnung.
Aufgeregt redeten Tessas Eltern nun aufeinander und auf Jess ein, der ebenso verwirrt zu sein schien wie Tessa und nur auf die Hälfte antworten konnte. Nach einer Weile schienen beide dies zu bemerken und verabschiedeten sich ebenfalls.
Eine wohltuende Stille senkte sich über die Wohnung, als das Motorengeräusch ihres Wagens in der Ferne verklungen war. Tessa ließ sich neben Jess auf die Couch sinken und gemeinsam saßen sie eine Weile schweigend da, beide in ihre Gedanken versunken.
Irgendwann war Jess derjenige, der das Schweigen brach. „Wow!“, stieß er hervor. „War das schräg… wow! Was… was sagst du?“

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Tessa sah ihn nun an und wusste nicht recht, was sie antworten sollte. „Ich… ich weiß nicht“, stieß sie schließlich hervor. „Ich bin völlig durcheinander. Aber wie muss es dir erst gehen?“
Jess zuckte mit den Schultern und stieß die Luft aus. „Ich… ich weiß auch nicht. Es… ich denke, ich wache jeden Moment aus einem schrägen Traum auf oder so.“
„Geht mir genauso“, sagte Tessa und lächelte ihn schief an.
Nun mussten beide zu lachen anfangen.
„Und? Was hältst du von dem allen?“, fragte Jess, nachdem er sich beruhigt hatte. „Denkst… denkst du, ich war zu voreilig? Ich meine… ich kenne diesen Mann doch gar nicht. Und… normalerweise denke ich gründlich über meine Entscheidungen nach… das ist eigentlich Bestandteil meiner Therapie gewesen, nichts mehr so Hals über Kopf zu entscheiden. Jetzt hab ich es doch wieder gemacht. Was, wenn ich eine falsche Entscheidung getroffen habe?“
Tessa dachte einen Moment nach und erwiderte dann: „Das ist doch aber etwas anderes hier. Wann bietet sich einem schon einmal solch eine Gelegenheit? Und klar – du kennst diesen Mann kaum, er wirkte doch aber sympathisch, und immerhin kennt ihn meine Mutter gut. Und letztlich hast du doch nichts zu verlieren. Du bist immer noch an der Abendschule eingetragen und bleibst es erstmal, bis du ganz genau weißt, wie es weitergeht. Ebenso mit deinem Job. Wenn sich das alles als Flop herausstellen sollte, hast du nichts verloren, oder? Außer enttäuscht zu sein vielleicht. Aber da meine Mutter die beiden kennt, denke, das ganze ist vertrauenswürdig.“

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„Wahrscheinlich kommt es einem nur so seltsam vor, weil es so aus dem Nichts geschehen ist“, gab Jess ihr recht. „Wusstest du, dass deine Mutter dieser Frau van Bircken Bilder von mir gezeigt hat?“
„Nein“, erwiderte Tessa wahrheitsgemäß. „Nein, aber wir haben einmal darüber gesprochen, dass sie die Frau eines vielversprechenden Galeristen kennt und darüber, dass sie diese ja einmal wegen dir ansprechen könnte… aber nie ernsthaft, ich wusste nichts genaues darüber. Bist du deswegen sauer?“
„Nein“, antwortete Jess. „Nein – es wäre mir nur lieber gewesen, wenn ich es gewusst hätte.“
„Das ist nun einmal meine Mutter“, seufzte Tessa lächelnd. „Manchmal schießt sie zu schnell.“
„Aber sie meint es ja gut“, nahm Jess sie in Schutz. „Ich meine – wenn sie es nicht gemacht hätte, dann wäre das eben wohl auch nicht geschehen, oder?“
„Nein, wohl kaum. Aber wie fühlst du dich damit?“
„Ich weiß nicht… das ist alles noch so surreal für mich. Eine Kunstschule zu besuchen war zwar immer mein Traum, aber… ich dachte nie, dass sich das erfüllen könnte. Und ich dachte auch nie, dass ich wirklich Talent habe. Also vielleicht schon Talent, aber das ist brotlose Kunst, dachte ich. Vielleicht ist es das auch. Vielleicht sollte ich das doch nicht machen, eine vernünftige Ausbildung wäre sicher sinnvoller…“, setzte Jess an.
„Aber Jess!“, rief Tessa aus. „Nun denk doch mal nach…“

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„Eduard van Bircken ist durchaus ein Name in der Kunst-Szene“, sprach sie dann weiter. „Ich kann ihn nicht genau zuordnen, habe aber schon einmal von ihm gehört. Soweit ich weiß, besitzt er auch mehrere Galerien und ist international unterwegs. Wenn dieser Mann es nicht beurteilen kann, wer dann. Ich denke schon, dass man ihm vertrauen kann, ich glaube nicht, dass er dir Hirngespinste ins Ohr setzen würde, wenn da nicht auch etwas wahres dran ist.“
Sie sah Jess ernst an. „Er wirkte auf mich wirklich nicht wie ein Menschenfreund. Nicht unbedingt hart oder gar unfair, nein, aber – wie er eben selbst sagte – als Geschäftsmann. Ich denke nicht, dass er auch nur einen einzigen Cent in dich investieren würde, wenn er sich davon nichts verspräche.“
Jess sah sie nachdenklich an. „Du denkst also wirklich, ich sollte es tun? Wenn er sein Versprechen hält und mir einen Platz an einer Kunstschule besorgt und eine Arbeit bei sich in der Galerie?“
„Natürlich“, erwiderte Tessa heftig. „Wenn du es jetzt nicht versuchst, wirst du dich dein Leben lang fragen, ob du es nicht hättest schaffen können!“
„Aber was, wenn ich es wirklich nicht schaffe?“, wandte Jess ein.
„Dann weißt du es genau“, erwiderte Tessa. „Ich denke, du bist inzwischen gesund genug, um das verkraften zu können. Abgesehen davon glaube ich nicht daran, dass du scheiterst. Du hast dich durch so viel Dreck nach oben gekämpft, schau doch nur, was du im vergangenen Jahr erreicht hast. Du wirst das hier auch schaffen. Und im Gegensatz zu dem, was du bisher getan hast, wird es dir auch noch Spaß machen. Da bin ich sicher.“

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Jess lächelte.
„Du hast recht – wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Und zurück an die Abendschule kann ich jederzeit gehen! Mir geht dabei nichts verloren! Und einen Job bekäme ich sicher auch irgendwie wieder, wenn da wirklich alles schief gehen würde. Meinst du nicht auch?“
„Ja, sicher… und wieso sollte es nicht klappen? Die Kunstschule wäre dein Ding, nicht so wie das trockene Algebra-Büffeln im Moment.“
Jess lachte. „Das stimmt.“
Er sah Tessa liebevoll an. „Das hab ich alles nur dir zu verdanken. Es ist unglaublich, wie sehr sich mein Leben zum Guten gewendet hat, seit ich dich kenne, Tessa.“
Tessa lächelte verlegen. „He – hör mal, das ist alles dein Verdienst, Jess. Du selbst hast dich dazu entschieden.“
„Trotzdem – ich hätte das nie, wenn ich dich nicht gehabt hätte.“
Er beugte sich nach vorne und küsste sie sacht. „Ich will dir einfach nur danken“, sagte er dann leise.

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Tessa fuhr ihm vorsichtig durchs Haar.
„Das brauchst du nicht“, flüsterte sie. „Ich hab dir genauso zu danken, denn du hast mein Leben genauso verändert, auch wenn es nicht so offensichtlich sein mag.“
Er lächelte sie an und fuhr sanft die Konturen ihrer Lippen mit seinem Zeigefinger nach.
„Ich könnte dich ununterbrochen küssen.“
„Dann tu es doch.“
Und während draußen die Sonne hinter den Fassaden der Hochhäuser verschwand, versanken beide in einem langen Kuss, der wie ein Versprechen war für das, was noch kommen würde und das, was sie sich wünschten.

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Fortsetzung folgt.
 
liebe innad,

schön, dass es dir wieder ein bisschen besser geht, wenn man das so sagen kann. vielleicht auch nur anders... wie auch immer - ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, nun endlich zu wissen, wer dort vor der tür stand. ehrlich, so eine geburtstagsüberraschung möchte ich auch gern haben!
sehr schön, dass jess nun eine chance bekommt, das zu tun, das er eigentlich tun wollte bzw sich schon immer erhofft hat.
ich bin irgendwie total gespannt, was noch passieren wird, umso mehr natürlich aufs ende... hoffentlich ist nicht alles zu perfekt im moment.

ich wünsche dir weiterhin alles liebe und drück dich...
 
Innad!
Schön das es dir wieder ein bisschen besser geht...
Ich fand den Teil richtig gut!
Man merkt, dass es aufs Ende zugeht und ich werde diese FS richtig vermissen :(
Aber ich freue mich unheimlich für Jess, dass er dieses Angebot bekommen hat.
Vielleicht startet er ja sogar richtig durch!
Ich gönne es ihm von ganzem Herzen!

Und dir, liebe Innad, wünsche ich auch weiterhin alles Gute...:)
 
Liebe Innad,

ich freue mich, dass es dir ein wenig besser geht! Ich drück dich mal feste!

Das ist für Jess ja toll, war echt ne tolle Geburtstagsüberraschung!
Im Moment scheint ja alles gut zu laufen für die beiden, was ich ihnen aber auch gönne, nach all den Strapazen die sie in letzter Zeit mitmachen mussten!

Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel!

Liebe Grüße
Chrissy
 
Toll,
manno man da war ich aber auch platt gewesen.
 
Liebe Innad,

ich bin froh dass es dir ein bisschen besser geht. Ja ich war auch sehr überrascht wer natürlich angeläutet hatte und geklingelt hatte so ein schöner Überraschungsbesuch.

Ich finde es wirklich toll, dass Jess so eine schöne Geburtstagsparty bekommt ich wünschte ich bekomme von meinen wahren Freunden auch immer so eine Party natürlich =)

Jess hat natürlich ein super Angebot bekommen ich hoffe dass er natürlich eine Freude natürlich hat mit der Überraschung.

Na gut dann freue ich mich auf das nächste Kapitel natürlich und dir Innad wünsch ich natürlich auch von Herzen Alles Gute und Glück und Zufriedenheit lass es dir gut gehen und pass auf dich auf!

Na gut ich freue mich schon aufs nächste Kapitel deine Kapitel sind immer sehr schön und super geschrieben aber mach schnell wieder wieder brauchst dich nicht hetzen aber schreib mal wieder weiter freu mich schon riesig drauf. :D
 
Danke für eure lieben Kommis!

Ich habs irgendwie nicht geschafft, euch hier auf dem laufenden zu halten. Darum kriegt ihr heute 2 Kapitel auf einmal...

Tja... und damit eröffne ich auch das Finale von "Tiefer". Das letzte Kapitel, das ich heute poste, ist Teil 1 des Finales.

Es wird dann nur noch eine Story-Fortsetzung geben... bin wirklich etwas wehmütig.
 
Kapitel 94
Schatten der Vergangenheit



„Sag mal, Süße, was machst du denn hier?“
„Ich suche einen Mann… er heißt Jess. Weißt du vielleicht, ob er hier ist?“
Tessas Stimme klang hohl und leer. Die Augen ihres Gegenübers verengten sich zu Schlitzen.
„Nein, der Name sagt mir nichts“, die Stimme des Mannes war schwer, träge. „Aber du solltest lieber verschwinden. Das hier ist kein Ort für dich, Prinzesschen! Es sind nicht alle hier so nett wie ich!“
Tessa schüttelte unmerklich den Kopf. „Nein… nein… ich kann nicht gehen, erst muss ich Jess finden.“
Der Mann sprang auf und begann zu schreien. „Verstehst du nicht, dass du verschwinden musst! Du musst verschwinden!“

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Tessa stöhnte, als sich die Konturen des Gesichts vor ihren Augen mit seltsamen Farben vermischen zu begannen.
„Ein Höllentrip, was?“, hörte sie die Stimme des Mannes lachen. „Nun siehst du einmal selbst, wie es ist, high zu sein. Hast du etwa jemals gedacht, er würde für dich clean werden? Hast du das etwa jemals ernsthaft angenommen? Du selbst bist stattdessen süchtig geworden.“
Jess Gesicht tauchte vor Tessas Augen auf, verschwommen und verzerrt.
„Er hat recht, Tessa“, seine Stimme klang gutmütig. „Er hat recht. Du solltest gehen.“

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„Gehen? Aber wohin?“, fragte sie tonlos. „Welchen Platz gibt es für mich? Hab ich mich verloren?“
„Verloren?“

„Verloren?“

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„He, Prinzesschen“, zerschnitt eine kräftige Stimme die Luft. „Schön, dich wiederzusehen. Diesmal wirst Du mir nicht entkommen.“
Tessa fuhr herum. Blickte in zwei Augen voller Gier, Hass und Rachsucht.

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„Diesmal wird dir niemand helfen“, hörte sie den Mann zufrieden sagen.
„Diesmal sind wir beiden völlig alleine. Du und ich. nur wir beide.“

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Sein Gestank drang in ihre Nase. Sein fauliger Atem ließ Übelkeit in ihr aufsteigen.
Sie spürte seine Finger, auf ihrer Haut, auf ihrer Seele.
„Nein! Nein!“, wollte sie rufen, doch ihre Stimme war erstickt.

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„Willst du dich nicht wehren, Zuckerpüppchen?“ Sein Lachen dröhnte in ihren Ohren.
Kämpfen? Wofür? Wehren? Wozu?
„Alles… so sinnlos“, flüsterte sie. „Alles… so sinnlos.“
Ihre Knie wurden weich, die Welt begann sich zu drehen, immer schneller und schneller. Mit einem dumpfen Schlag lag sie auf dem Boden.
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete sich mit seltsamer Distanz.

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War sie das? Was war geschehen?
War sie nun tot? Oder noch lebendig?
„Neiiiiin!“
Ein Schrei löste sich aus ihrem Mund und sie fuhr hoch. Durchnässter Stoff klebte an ihrer Brust, an ihrem Bauch. Die Haare im Nacken waren feucht geworden. Sie atmete schwer.

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Tessa blickte sich unruhig im dunklen Raum um, der nur vom durchs Fenster fallende Mondlicht und dem grünlichen Schimmer ihres Radioweckers erhellt wurde. Ihr Herz raste in ihrer Brust, sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und atmete weiterhin schwer und mit offenem Mund.
„Tessa?“
Verschlafen richtete Jess sich neben ihr auf.

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„Tessa?“, fragte er noch einmal, nun mit deutlicher Besorgnis in der Stimme, schob die Decke zurück und setzte sich auf. „Tessa? Was ist los?“
Tessa drehte sich langsam zu ihm. „Ich… ich…“, stammelte sie und fand keine Worte.
„Wieder dieser Traum?“, fragte Jess einfühlsam.
Zitternd nickte sie und er zog sie ungefragt in die Arme. Allmählich löste sich ihre Anspannung in heiseres Schluchzen.
Jess blieb ruhig neben ihr sitzen, streichelte sachte über ihren Kopf und Rücken und wiegte sie hin und her, bis sie sich beruhigt hatte.
Dann knipste er das Licht an, zog sie wieder in seine Arme und sagte leise: „Besser?“

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Langsam nickte sie. „Ja… ein bisschen“, schniefte sie. Jess küsste sie sacht auf die Schläfe.
„Es ist immer dasselbe“, flüsterte Tessa. „Immer wieder bin ich in dieser Ruine auf der Suche nach dir. Und dann kommt… er… und…“
Sie konnte nicht weitersprechen und schluckte hart.
„Ich weiß“, flüsterte Jess leise. „Ich weiß. Ich muss auch immer wieder daran denken.“
Liebevoll sah er sie an. „Ich danke Gott noch heute dafür, dass ich dich rechtzeitig gefunden habe.“
Sie nickte. „Ich auch…“, sagte sie leise.
„Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest“, sagte Jess traurig – wie schon etliche Male.
„Mir auch“, flüsterte Tessa. „Aber du kannst nichts dafür. Es … tut mir so leid, dass ich dich immer wieder daran erinnere. Aber gerade in letzter Zeit kommt alles wieder hoch, ich weiß nicht, wieso.“
Jess zog sie dichter an sich. „Du weißt doch, dass du diesen Traum immer öfter hast, wenn du unter Stress stehst, Tessa. Deine bevorstehenden Abschlussprüfungen sind es, die dich so quälen. Du bekommst zu wenig Schlaf und Abwechslung, bist den ganzen Tag nur am Lernen. Deswegen kommen deine Alpträume wieder aus deinem Unterbewusstsein hoch gestiegen.“

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Tessa seufzte. „Ich wünschte, ich hätte all das schon hinter mir.“
„Nur noch ein paar Wochen, dann hast du dein Diplom in der Hand und kannst all das hinter dir lassen“, sagte Jess aufmunternd und strich ihr über die Schultern.
„Du bist so optimistisch“, klagte Tessa. „Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll. Ich fühle mich dem einfach nicht gewachsen. Schon gar nicht, wenn diese Träume immer wieder kommen und mir die Nacht ruinieren.“
Sie blickte auf die Uhr. „Es ist vier Uhr in der Früh… ach verdammt, du hast heute ja eine Prüfung in der Kunstschule. Du brauchst deinen Schlaf.“
Jess winkte ab. „Mach dir um mich mal keine Gedanken, ich schaff das schon. Ich bin wenig Schlaf gewöhnt und die Prüfung wird ein Klacks werden, ich bin bestens vorbereitet. Du stehst zurzeit viel mehr unter Stress als ich. Du bist es, die Schlaf braucht. Musst du nachher zur Uni?“
Tessa seufzte. „Ja, leider… ich muss unbedingt in die Bibliothek, einige Dinge recherchieren.“

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Jess nickte. „Wie lange brauchst du?“
„Weiß nicht, ein paar Stunden“, erwiderte Tessa müde.

„Pass auf, Schatz“, sagte Jess nachdenklich. „Ich bin gegen zwei Uhr zu Hause, vielleicht schaffst du das auch, mh? Und danach nehmen wir uns beide den Rest vom Tag frei – keine Widerrede! Du legst dich heute Nachmittag ein Stündchen hin und holst Schlaf nach und dann machen wir uns einen schönen Nachmittag, vielleicht können wir heut Abend sogar ins Kino gehen, mh?“
Tessa schüttelte den Kopf. „Nein – nein, ich muss noch so viel lernen, Jess…“
„Tessa, du brauchst mal eine Pause. Verordnung von mir, klar, keine Widerrede!“ Er zwinkerte und Tessa lachte leise auf.
„Na gut… du hast wahrscheinlich recht. Aber nur heute. Morgen muss ich wieder Gas geben.“

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Jess nickte. „Das ist genehmigt. Und nun sollten wir versuchen, noch ein wenig zu schlafen, mh? Meinst du, das geht?“
Tessa nickte langsam. „Ich denke schon… Jess?“
„Ja?“
„Denkst du wirklich, dass ich das schaffe? Das Diplom mein ich?“

Jess fuhr ihr sachte durchs Haar. „Tessa – natürlich schaffst du das. Hab ein bisschen mehr Vertrauen in dich.“
Tessa lächelte und schmiegte sich an ihn.
„Ich fühl mich so geborgen bei dir“, flüsterte sie schläfrig.
Jess lächelte und hob ihr Kinn nach oben. „Genauso soll es sein“, sagte er leise. „So hätte es schon immer sein sollen.“
Sie lächelten sich an und küssten sich lange.

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„Und nun lass uns noch ein wenig schlafen“, sagte Jess sanft, hob die Bettdecke an, so dass Tessa zu ihm schlüpfen konnte, zog sie in seine Arme und löschte das Licht. Wenige Minuten später waren sie wieder eingeschlafen. Und diesmal blieben die Schatten der Vergangenheit still, bis die Sonne aufging und beide zu einem neuen Tag wachküsste.






Fortsetzung folgt.
 
Kapitel 95 (Finale Teil 1)
Vergangenheit und Neubeginn




Tessa atmete die Luft tief ein. Es roch nach Gras, nach Blüten und nach den sich sanft hin und her wiegenden Sommerblumen auf den Wiesen.
Die Sonne stand hoch am Himmel, hatte an diesem frühen Septembermorgen jedoch nicht mehr die sengende Kraft der Sommerhitze.
Und so geht sie also zu Ende, die Geschichte über mich und Jess.

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Mit einer zärtlichen Geste berührten ihre Finger die letzte Seite in dem eng beschriebenen Buch, das sie in ihren Schoß gelegt hatte.
Ich werde nie vergessen, was er mich alles gelehrt hat. So viel Schmerz er mir auch gebracht haben mag, so bin ich doch dankbar für jede Minute, die ich mit ihm habe verbringen dürfen, denn jede davon war unendlich viel wert und lehrte mich den wahren Sinn des Lebens.
Tessa spürte, wie sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste und ihr die Wangen herab rann.

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Sie setzte den Kugelschreiber ein letztes Mal an und schrieb weiter.
Ich werde all diese schönen Zeiten nie vergessen, auch wenn sie inzwischen zur Vergangenheit gehören. Heute kann ich sicher sagen, dass ich den Mann fürs Leben gefunden habe. Mein Leben ist sicher und glücklich, aber ich werde jene Zeiten und jenen wundervollen Menschen, den ich damals kennenlernte, auch wenn er noch so gebeutelt sein mochte von der Macht der Drogen, niemals vergessen. Ich werde nie aufhören ihn zu lieben.
Tessa schniefte und betrachtete die letzten Worte liebevoll. Dann schlug sie das Buch heftig zu, was wie eine Art Entschluss wirkte, der nie mehr rückgängig zu machen sein würde.
Langsam erhob sie sich, klopfte die Grashalme von ihren nackten Beinen und richtete ihren Blick zum Haus hinüber. Der Kies auf dem schmalen Weg, der in den Garten führte, knirschte und sie hörte, wie jemand ihren Namen rief.

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„Ich bin hier!“ rief sie zurück und lächelte der Person zu, die über den sattgrünen Rasen auf sie zukam.
„Und? Bist du aufgeregt?“
Monika blieb lächelnd vor ihrer Freundin stehen und betrachtete diese aufmerksam.
Tessa lächelte und zuckte mit den Achseln.
„Wer wäre das nicht?“

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Die Freundinnen standen einen Moment schweigend voreinander.
„Hast du Angst?“ fragte Monika schließlich leise.
Tessa starrte auf ihre Schuhspitzen.
„Ich weiß nicht“, sagte sie leise.
„Tessa – du tust das richtige, glaub mir“, sagte Moni ernst und strich ihrer Freundin über die Schulter. „Genau das richtige, wirklich.“

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Tessa schluckte und richtete ihren Blick nach oben, wo die Sonne durch das schon langsam dünner werdende Blattwerk des Baumes blitzte und funkelte.
„Was, wenn ich einen Fehler mache?“ stieß sie hervor.

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Monika schüttelte sanft den Kopf und Tessa nickte ein wenig beklommen.
„Lass uns reingehen. Es wird Zeit“, sagte Monika und Tessa folgte ihr ohne etwas zu erwidern durch den Garten.
Der Kies unter ihren Füßen knirschte, als sie ums Haus herum gingen.

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Im Haus angekommen sog Tessa die Luft tief ein.
Es roch wie immer, es sah aus wie immer. Doch heute war alles anders als sonst.
Es war kein Tag wie jeder andere, es sollte einer der wichtigsten ihres Lebens werden.
Wieder beschlich sie ein seltsames Gefühl der Unsicherheit, das sie zu unterdrücken versuchte, als sie mit Monika die Treppe hinauf stieg und das Schlafzimmer betrat.
„Ich… ich weiß nicht. Vielleicht… vielleicht ist es doch nicht die richtige Entscheidung. Ich meine… vielleicht ist es zu früh. Vielleicht sind alle Wunden noch nicht genug geheilt“, stieß sie hervor und sah Monika fragend an.

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Monika strich ihr noch einmal über die Schulter.
„Aber Tessa… sieh doch mal, dein Leben ist glücklich und zufrieden. Es ist vielleicht nicht alles so, wie du es dir einmal erträumt haben magst, aber es ist gut so wie es ist. Lass die Vergangenheit ruhen, lass die Schatten jener Tage dich nicht wieder befallen. Vertrau dem, was geschieht.“
„Du denkst also, es ist kein Fehler?“ fragte Tessa erneut.
„Nein … nein, absolut nicht. Ich denke, du hast einfach nur ein wenig Angst vor deiner eigenen Courage. Das ist alles.“
Monika zog ihre Freundin in die Arme und drückte sie.

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„Dein Leben – euer Leben wird bestimmt wunderschön werden. Glaub mir. Er ist der richtige für dich. Denk nicht mehr an den Mann, den du damals an der Supermarkt-Kasse kennengelernt hast. Denk an den Mann, der heute sehnsüchtig auf dich wartet und dich über alles liebt. Nur er zählt heute.“
Tessa nickte langsam. Es war so vieles geschehen in den letzten Jahren…
„Komm, lass uns anfangen“, sagte Monika sanft und Tessa folgte ihr langsam ins Badezimmer.
Etwa zwei Stunden später stand sie mit großen Augen vor dem Spiegel und betrachtete sich.

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„Ich… komme mir so fremd vor“, stammelte sie.
Monika lächelte. „Ich finde, du siehst wunderschön aus. Gefällt es dir etwa nicht?“
Tessa drehte sich schnell zu ihrer Freundin um, die in ihrem eisblauen Kleid selbst umwerfend aussah.
„Doch! Es ist wunderschön, Monika! Vielen, vielen Dank, dass du mich so schön geschminkt und frisiert hast! Du hast echtes Talent, wirklich!“
Die beiden Freundinnen umarmten sich noch einmal herzlich.

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Monika lachte leise auf.
„Danke, dass ist schön zu hören. Vielleicht sollte ich mir überlegen, den Beruf zu wechseln?“
Sie sah Tessa forschend an.
„Wie geht es dir jetzt? Aufgeregt?“
„Das ist kein Ausdruck“, stöhnte Tessa und drehte an einer ihrer Schillerlocken.



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„Ich muss nur noch schnell etwas holen“, sagte Monika. „Warte du schon mal in der Küche auf mich. Wir können dann sofort losfahren.“
Sie betrachtete ihre Freundin noch einmal von oben bis unten.
Das weiße, schlichte Brautkleid betonte Tessas schlanke Figur und ließ sie auf anrührende Weise noch jünger und zerbrechlicher wirken als sonst. Und doch strahlte ihre Freundin eine Stärke aus, die man ihr niemals zutrauen würde – eine Stärke, die ihr die letzten Jahre beigebracht hatten
Tessa derweil hob ihren Reifrock umständlich nach oben und machte sich auf die abenteuerliche Reise die Treppe hinunter, wo sie auf einem Küchenstuhl Platz nahm und ihren Blick durch die modern eingerichtete Küche schweifen ließ, in der sie in den letzten Wochen oft und gerne gestanden und das ein oder andere leckere Abendessen gezaubert hatte.

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Wenn sie sich da an die kleine Küche in ihrer früheren Wohnung zurück erinnerte, erschien ihr das hier wie ein kleiner Palast. Und doch hätte sie manchmal viel dafür gegeben, noch einmal zumindest für ein Weilchen in jene Zeiten zurückkehren zu können…
„Ich bin fertig!“ hörte sie Monikas aufgeweckte Stimmte durch den Raum schallen. Sie zwinkerte Tessa zu und sagte: „Ich hab gehört, es wartet ein äußerst aufgeregter Bräutigam auf eine nicht minder nervöse Braut – und ich soll beide zusammenführen!“
Tessa lachte leise auf. „Dann will ich dich daran mal nicht hindern!“
Sie erhob sich vom Stuhl und warf noch einmal einen Blick durch die Küche und den Flur, den sie durchschritt. Wenn sie zurück kam, würde sich ihr Leben wohl komplett verändert haben. Sie würde einen anderen Namen tragen – und eine verheiratete Frau sein.
Obwohl sie das Rascheln ihres seidigen Rockes wahrnahm und das Diadem in ihren Haaren spürte, obwohl sie die Blicke des Nachbarn bemerkte, der gerade im Garten seine Blumen bewässerte und ihr freudig zuwinkte – man sieht nicht alle Tage eine derart schöne Braut – fühlte sich dieser Gedanke für sie noch immer sehr abstrakt an.
Benommen stieg sie neben Monika in ihr kleines Auto.

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„Bereit?“ fragte diese noch einmal und Tessa nickte langsam. Monika ließ den Motor an und setzte zurück. Nur wenige Sekunden später ließen sie das weiße Haus hinter sich und Tessa versank in Gedanken.

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Verschiedene Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf, Bilder, die sie in den letzten Wochen und Monaten immer wieder in ihr kleines Buch geschrieben und verewigt hatte, die ihr aber speziell in diesem Moment wie ein kleiner Film noch einmal vor ihrem inneren Auge abliefen.

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Der Motor summte leise vor sich hin, während das Auto sie immer schneller und weiter ihrem Ziel entgegen trug.
Eine undeutbare Beklommenheit stieg erneut in ihr auf und sie schauderte. Hinter ihr lagen so viele Ereignisse und in ihr war sie so gefüllt mit Erinnerungen.
Nun war sie im Begriff, ein neues Leben zu beginnen. Doch war sie schon bereit dafür?
Mit einemmal wusste sie es nicht mehr….

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Fortsetzung folgt.
 
jetzt aber keine dummheiten, tessa...

genialer anfang des 1. letzten kapitels, innad... wie gemein, den armen leser zuerst so zu verunsichern! tessa sieht wirklich toll aus, und auch dass sie sich mit moni und nicht einer andren freundin auf ihre hochzeit vorbereitet kommt mir irgendwie so "richtig" vor.

sehr schön finde ich auch, dass jetzt nicht einfach geheiratet wird, sondern dass du so ausführlich beleuchtest, was für einen weiteren schritt und eine weitere veränderung dies für tessa - wieviele jahre fehlen zwischen den beiden kapiteln? - bedeutet. es ist eben fast nichts normal gelaufen zwischen ihr und jess - da darf man dann wohl auch schonmal ins grübeln geraten am hochzeitstag. aber nur noch für die länge der autofahrt, bitte. ;)

ich freue mich sehr auf das letzte kapitel und den ausgang von TadS. Ich werde die Story sehr vermissen. vielen dank, dass du die fs noch zuende geschrieben hast.
 
Manno man ich habe am Anfang schon gedacht Jess wäre nicht mehr da das klang so als hätte sie ihr leben erzählt und Ende.

Naja hoffe es ist auch Jess der am Altar steht..
Oh das sit so schön...

Ich werde die Story vermissen aber ich hoffe es gibt ein tolles Happy End.
 

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