Ich mag die Lupenbilder zu 1 und 4, und bei der Lupe zu 12 achtet bitte mal darauf, was Birthe da treibt.
Die nächsten Tage arbeiteten wir uns unermüdlich nach Süden vor.
1
Ab und an wichen wir von unserer Route ab, um nahe gelegene Dörfer, Festungen oder Wachtürme zu warnen, und Artair erteilte die Order, die Nachricht weiterzuverbreiten; wir hielten uns aber nie lange auf und schlugen rasch wieder die alte Richtung ein.
Je weiter wir kamen, desto mehr schien die Finsternis um uns herum zuzunehmen, so dass wir manchmal nicht mehr zu wissen schienen, ob es morgens oder abends, tags oder nachts war.
Ich verlor jedes Zeitgefühl, ich hätte nicht sagen können, wie lange wir bereits unterwegs waren; aber als am Horizont die Ausläufer eines großen Waldgebietes auftauchten, wusste ich, dass Caer Mornas nur noch zwei Tagesritte entfernt lag.
2
Je mehr wir uns dem Wald näherten, umso unbehaglicher wurde uns zumute. Er war in dichte Schatten gehüllt, die sich zu bewegen und ständig neu zu formieren schienen.
Eine unnatürliche Stille lag darüber, und nicht der leiseste Windhauch bewegte die Blätter.
Als wir den Saum erreicht hatten, blieben wir stehen.
„Es hilft nichts, wir müssen da durch", sagte Brayan langsam, und Artair nickte.
„Wir können nicht außen herum, er ist zu ausgedehnt", stimmte er zu.
„Und wir haben auch nicht die Zeit dazu. Wir sollten also zusehen, dass wir ihn möglichst rasch durchqueren."
4
Schweigend tauchten wir in den Schatten des Waldes ein, und es schien uns, als ob sich ein dunkles Gewicht auf unser Gemüt legte, das schwerer und schwerer wurde, je weiter wir in den Wald vordrangen.
Artair schien unbeirrt sein Ziel zu verfolgen, und nach einer Ewigkeit, so kam es mir vor, erreichten wir endlich eine kleine Lichtung, und Artair gab den Befehl, hier Halt zu machen.
Erleichtert sattelten wir die Pferde ab, tränkten und fütterten sie und brachten sie in der Nähe der Lichtung unter, wo sie sich an einigen Schösslingen gütlich tun konnten, und dann versammelten wir uns um die Lagerfeuer, die das Dunkel und die Schatten wenigstens ein wenig erhellten.
Missmutig starrte ich auf meinen Becher mit Most. Der schale Geschmack verbesserte meine Laune nicht gerade.
Seit wir Caer Umran verlassen hatten, war sie stetig schlechter geworden, und ich wusste auch, woran das lag; auch, wenn ich es nicht mal vor mir selbst zugeben wollte.
Ich vermisste
Ihn.
„Ich würde all mein Gold geben für ein ordentliches Essen!", seufzte Brayan und warf einen angewiderten Blick in seine Satteltasche.
„Na ja, wenn ich welches hätte. Vielleicht mein gutes Aussehen?" flachste er.
„Götter, Du bist so eine Memme", fuhr ich ihn an.
„Ganz ruhig, Prinzesschen", grinste Brayan.
„Du sollst mich nicht so nennen!" fauchte ich.
„Wieso nicht?" Brayan biss seelenruhig in einen Apfel. „Immerhin ist Deine Mutter Königin, und Du bist eine echte Prinzessin.
Überhaupt bin ich der einzige hier, der niemals auch nur in die Nähe einer Krone kommen wird."
Er setzte einen mitleidheischenden Blick auf.
„Ich auch nicht", entgegnete ich schnippisch.
„Wieso nicht?"
Brayan hob erstaunt seine rechte Augenbraue.
„Weil ich ungefähr die einhundertdreiundzwanzigste in der Thronfolge bin."
„Die dritte, genaugenommen", erwiderte Artair ruhig.
„Die dritte oder hundertdritte, was macht das für einen Unterschied?
Ich habe vier schöne, begabte, gebildete ältere Schwestern, von denen zwei vor mir dran sind, so dass dieser Kelch zum Glück an mir vorübergehen wird."
Ich hatte sogar fünf ältere Schwestern gehabt. Bevor Runcal einer von ihnen das Leben genommen hatte.
Runcal. Der Mann, der sich in mein Leben und meine Träume geschlichen hatte.
Und den ich trotz allem schmerzhaft vermisste.
Artair musterte mich ernst.
„Würdest Du Dich dieser Pflicht entziehen wollen?"
Ich schlug beschämt die Augen nieder.
Artair war seit seinem siebten Lebensjahr König des südlichen Reiches. Er hatte seine Pflicht niemals anders als ehrenvoll und klaglos erfüllt.
Wenn Brayan und ich mit den anderen Kindern längst im Freien spielten, hielt Mártainn stets noch zusätzliche Lektionen für Artair bereit.
Oft kehrte er erst spät in der Nacht in die Schlafkammer zurück, manchmal übersät mit blauen Flecken von harten Kampfübungen, immer todmüde, aber mit zusammengepresstem Kiefer und ohne ein Wort der Klage.
Niemals hörte ich ihn aufbegehren gegen das, was Mártainn ihm zumutete.
Er schien bereits als Kind zu wissen, dass an ihn höhere Maßstäbe angelegt wurden und tat immer sein Bestes, um Mártainn zufrieden zu stellen.
Was ihm natürlich nie gelang.
„Nein, natürlich nicht" antwortete ich leise.
Im gleichen Moment spürte ich es. Irgendetwas war da draußen; etwas, das uns belauerte.
Ich warf einen Blick zu Artair, und er nickte mir unmerklich zu - auch er hatte es gespürt; und an der gespannten Aufmerksamkeit, die unter Brayans achtloser Lässigkeit lag, konnte ich erkennen, dass auch er es bemerkt hatte.
Artair gab den Männern unauffällig ein Zeichen, und in kürzester Zeit war das ganze Lager wachsam, obwohl ein unbeteiligter Beobachter keinerlei Veränderung hätte feststellen können.
Brayan gähnte und streckte sich, dann stand er langsam auf.
„Ich werde wohl mal sehen, wo ich meine Decken gelassen habe", sagte er, und lockerte unauffällig sein Schwert.
„Ich komme mit Dir", erwiderte ich und tat es ihm gleich, und aus den Augenwinkeln sah ich, dass auch Artair aufstand.
Und in diesem Augenblick brachen alle Dämonen gleichzeitig über uns herein.
Sie kamen von zwei Seiten aus dem Wald, sprangen auf die Lichtung und begannen sofort, unbarmherzig auf unsere Männer einzuschlagen.
Es waren große, dunkel gekleidete Männer mit herben Gesichtszügen, und sie schrien etwas in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte.
12
Allerdings hatten sie offenbar nicht damit gerechnet, dass wir gewarnt waren und ihnen sofort erbitterten Widerstand entgegensetzten, und es dauerte nicht lange, bis die ersten ins Wanken gerieten.
„Die Pferde!", rief Brayan mir zu, und ich nickte. Mit einem Blick vergewisserte er sich, dass Artair und ich zurechtkamen, ehe er im Wald verschwand.
Unsere Männer kämpften verbissen und konzentriert, doch ich bemerkte, dass die Attacken der Angreifer sich langsam mehr und mehr verlagerten, zum linken Teil der Lichtung – wo Artair stand und sein Schwert mit großen Schwüngen schwang, als sei er ein Schnitter im Feld.
„Hier herüber", rief ich Uisdean zu; er reagierte sofort und bewegte sich zügig in Artairs Richtung, gefolgt von weiteren Männern, die ebenfalls begriffen hatten, was passierte.
15
Langsam erlahmte der Widerstand der Angreifer, der stete Sturm des Angriffs flaute ab und die ersten begannen, in den Wald zu flüchten, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel sah.
Ein vereinzelter Angreifer kam aus dem Waldstück hinter uns und näherte sich mit großen Sprüngen.
Nah, viel zu nah hinter Artair.
Mit einer raschen Drehung schob ich mich zwischen Artairs Rücken und den heranstürmenden Angreifer.
Er war zu schnell und konnte nicht mehr ausweichen; und seine Schnelligkeit verstärkte noch die Wucht, mit der mein Schwert in seinen Köper drang, als wir aufeinander prallten.
Sein Gesicht nahm jenen Ausdruck ungläubigen Staunens an, den es immer dann zeigt, wenn der Tod rasch und unerwartet kommt.
Seine Augen waren von einem hellen, ungewöhnlichen Bernsteinton, und ich konnte in ihnen lesen, dass er nicht glauben wollte, was jetzt gerade mit ihm geschah, bevor sie brachen.
Unwillkürlich fing ich ihn in meinen Armen auf.
Ich konnte spüren, wie sich Artair hinter meinem Rücken drehte und hörte ihn aufstöhnen; gleichzeitig sah ich Brayan aus dem Waldsaum hervor brechen, er stieß einen erschreckten Schrei aus und in seinem Gesicht stand das nackte Entsetzen.
Ich wollte ihm zurufen, dass alles in Ordnung sei, dass Artair keine Gefahr mehr drohe, aber es kam kein Laut über meine Lippen.
Verwundert versuchte ich es erneut, und plötzlich schmeckte ich Blut.
Ich sah an mir herab, und dann begriff ich, dass nicht nur
mein Schwert in dem Körper des Fremden steckte.
Sondern auch seines in meinem. Es war fast bis zum Heft in meine Brust eingedrungen, und mit dem Schock, der mich wie ein Axthieb traf, kam auch der Schmerz.
Ich hörte ein keuchendes Geräusch, das offensichtlich von mir kam; und in plötzlicher, wilder Panik stieß ich den Mann von mir, der zusammengesunken an mir lehnte.
Mit einem hässlichen Geräusch fuhr das Schwert aus meiner Brust, und ein heftiger Blutschwall folgte.
Und dann fühlte ich, wie langsam das Bewusstsein aus meinem Körper rann, und sich die Dunkelheit meiner bemächtigte.
Das letzte, was ich sah, war der verzweifelte Blick in Artairs Augen, als er mich auffing.
Personenverzeichnis ~
Stammbaum ~
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