Kapitel 1
Von oben hatte die Insel so gut ausgesehen. "La Isla Pura" – die reine Insel. Leider musste Marica schnell feststellen, dass mit "rein" keinesfalls die gute Luft hier gemeint war. Vielmehr war die Insel zivilisationstechnisch so unberührt wie das welke Salatblatt auf einem Steakteller. Und das sollte ihr Feriendomizil für die nächsten paar Wochen sein?
"Das kann nicht dein Ernst sein, Daddy!", beschwerte sie sich prompt bei Pedro Cruz, dem steinreichen Quietscheentchenfabrikanten, der jedoch nur listig lächelte.
Marica hatte alles, was sie als eine waschechte Cruz auszeichnete, angefangen bei einer gehörigen Portion Snobismus bis hin zu der markanten Nase, ein Relikt der philippinischen Wurzeln der Cruz'.
Doch sie liebte es auch Partys zu feiern, und als sie bei einer ihrer letzten Ausschweifungen (Partymotto: Hexenverbrennungen im Mittelalter) Heribert, das Lieblingsquietscheentchen Pedros auf dem Scheiterhaufen geopfert hatte, war der Bogen überspannt gewesen. Pedro beschloss, sie rauszuschmeißen. Sollte sie doch sehen, wie sie sich ihr eigenes Imperium aufbaute. Pedro hatte damals auch nicht viel mehr gehabt als sie: eine Schlafstätte, eine Dusche, eine Toilette, einen Stuhl, einen Tisch und einen Kühlschrank. Dazu noch drei notdürftig gezimmerte Wände, um den kühlen Küstenwind abzuhalten.
Doch die Spielleiterin hat Mitleid mit Marica und beschließt, ihr wenigstens einen kleinen Park zu lassen. Zudem darf Marica sich noch ein Rabbithole aussuchen. "Das Wellnesscenter", kreischt sie verzweifelt, "Nein, Moment… eine Shoppingmeile! Es
gibt hier doch so etwas wie eine Shoppingmeile? Außerdem ein Kino, Museum und Theater. Und natürlich ein gut florierendes Unternehmen, dessen Vorsitz ich einnehmen kann. Und…"
Lektion Nummer 1, liebe Marica: Man kann nicht alles haben. Lektion Nummer 2: Gut nachdenken, bevor man spricht (oder gar Wünsche äußert). Es bleibt bei dem Wellnesscenter. Nur gut, dass sich ihr Lebenswunsch nicht auf einen Beruf bezieht. Nein, sie würde gerne ein Renaissance-Sim werden und drei Fähigkeiten perfekt beherrschen. Vielleicht sollte man der lieben Marica mal stecken, dass Shopping, Partys und Flirten nicht zu solchen Fähigkeiten zählen?
Nachdem Daddy Pedro wieder mit dem Hubschrauber entschwunden ist, beschließt Marica, sich auf diesen Schrecken erst einmal eine erholsame Massage im Wellnesscenter zu gönnen. Sie weigert sich entschieden, diesen Witz von einer Behausung als ihre zukünftige Bleibe zu akzeptieren und will sie gar nicht erst näher inspizieren.
Doch am Wellnesscenter erleidet Marica den nächsten Schock: Der "Witz von einer Behausung" hat beinahe ihr gesamtes Budget aufgefressen. Mickrige 14 Simdollar besitzt sie noch und kann sich somit noch nicht einmal eine Maniküre leisten. Marica entflieht der Realität auf Marica-Art und vertieft sich in die Betrachtung einer Skulptur, die sich einfach herrlich in ihrem Empfangszimmer machen würde (welches sie natürlich nicht mehr besitzt, Realitätsflucht eben…). Leider kann selbst das nicht über die karge Leere der Insel hinwegtäuschen und ihr kommt ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn die Insel unbewohnt ist?
Doch dann entdeckt sie auf der gegenüberliegenden Seite im Park einen männlichen Sim, der wie ein Handwerker gekleidet ist. Normalerweise würde sie keinen zweiten Blick an ihn verschwenden, aber sie braucht jetzt einfach jemanden, dem sie ihr Leid klagen kann. Schon nach wenigen Sätzen beschließt sie, dass sie Elias Rasmussen als Freund gewinnen will. Wer weiß schließlich, ob es außer ihm und ihr noch andere Sims auf der Isla Pura gibt? Vielleicht hat er gar ein ähnliches Schicksal wie sie durchlebt und muss sich nun als Handwerker das Geld für eine Pediküre verdienen.
Als er sie dann jedoch mit einer detaillierten Beschreibung der Unterschiede von Zangen (Falzzangen, Flachzangen, Spitzzangen…) langweilt, stellt sie fest, dass Geschicklichkeit tatsächlich zu seinen Charaktereigenschaften gehört. Bevor er zu den Feinheiten der Toiletten-Entstopfung übergehen kann, wechselt Marica lieber schnell zu einem Thema, das sie wirklich interessiert: Marica. Nun ist es an Elias, gelangweilt dreinzuschauen, und sie entschuldigt sich hastig, auch wenn das ihrer hitzköpfigen Natur so gar nicht entspricht. Ihr Gesichtsausdruck sieht auch alles andere als reumütig aus und nützen tut die Entschuldigung auch nichts. Elias hat genug und fährt in seinem Auto davon.
Er ist noch nicht ganz an der nächsten Straßenecke angelangt, da telefoniert sie ihm mit ihrem Handy (muss ein superdolles Luxusteil sein, wenn es die Nummern der Sims einfach so kennt) hinterher, um ihn schnell noch um Geld anzupumpen. Schließlich braucht sie doch ihre Massage! Das kommt leider nicht besonders gut an und so steht sie in ihrer Beziehung zu Elias wieder ganz am Anfang. Will sie mit so einem geizigen Menschen überhaupt befreundet sein? Leider hat sie keine große Wahl, er ist immer noch der einzige Sim, den sie bisher kennt. Marica beschließt, das sofort zu ändern und betritt das Wellnesscenter. In ihrem
richtigen Leben war es vollkommen normal, den Bedürftigen ab und an zu helfen. Nun ist sie eindeutig bedürftig, und vielleicht hat die Empfangsdame ein Einsehen und wird ihr eine kostenlose Gesichtspackung gewähren.
Dem ist leider nicht so, aber Marica geht trotzdem nicht mit leeren Händen "heim". Ihr Blick fällt auf eine Stellenanzeige des Centers. "Wellnessspezialistin gesucht" steht dort. Ekstatisch reißt sie den Zettel von der Pinnwand. Wenn hier jemand eine Spezialistin für Wellness ist, dann doch wohl sie! In "es sich gut gehen lassen" ist sie eindeutig am besten.
Natürlich bekommt sie den Job und fährt selbstzufrieden nach Hause. Das Wörtchen "Kleiderfalterin" im Kleingedruckten ignoriert sie geflissentlich und fällt, nachdem sie eine Schale Müsli heruntergewürgt hat, müde in ihr ungemütliches Bett.