5x01: Tu m’as promis
Es waren zwei Jahre vergangen seitdem Laura Ewert den Menschen in ihrem Land ein Versprechen gegeben hatte. Damals hatte sie gesagt, sie würde einiges verändern, zum Guten wenden; dieses Land wieder zu einem Strahlenden Stern zu machen. Ja, Laura Ewert war ambitioniert gewesen dieses Ziel zu erreichen. Doch zwei Jahre nach ihrer kleinen Rede auf dem Rathausplatz von Riverview, sah die Welt ganz anders aus…
„Frau Präsident …“, begann Simon Smolmak langsam und lächelte schwach. Doch es war kein höfliches, nettes Lächeln, eher ein schmunzelndes, seinen Ärger überspielendes Lächeln.
„Sie wissen, was heute Morgen passiert ist. Und ich glaube, dass es Sie mehr beunruhigen müsste als mich.“
Laura Ewert, die ihm gegenüber saß versucht sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen und antwortete in ihrer gewohnten, eisernen Weise:
„Wir haben alles im Griff.“
„Alles im Griff? Wir haben die Bundesstaaten Wasimgton und New Sorg verloren. Das wären dann schon einundzwanzig … Sagen Sie, was verstehen Sie unter im Griff haben? Ist es nicht so, dass die vereinten Nationen gerade Raketen auf uns richten?“ Simon sah seinem Gegenüber tief in die Augen.
„Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Glauben Sie mir, ich habe nicht vor noch mehr landesteile an die demokratische Regierung zu verlieren.“
„Dann tun Sie endlich etwas! Mit Verlaub, aber in den letzten Zwei Jahren haben wir kontinuierlich an Macht verloren. Eine Stadt nach der anderen, ganze Landkreise und seit einigen Monaten ganze Bundesstaaten. Ich weiß einfach nicht, worauf Sie ihren Erfolg stützen. Sie haben mir etwas versprochen…“
Laura stand auf.
„Ich weiß. Es tut mir Leid, aber wir konnten Sie nicht finden.“
„Es ist nur ein Kind! Es kann nicht so schwer sein es zu finden. Sie haben mir das Kind versprochen und ich Ihnen dafür die Waffen. Aber ich kann mein Projekt nicht ohne das Kind abschließen!“
Laura war innerlich verzweifelt. Ihr war klar, dass diese Machtübernahme alles andere als einfach gewesen war. Zwei Jahre lang war sie nun an der Macht, immer mit der Gefahr lebend, dass ihr aufgebautes Terrorreich nicht jeden Moment in sich zusammenbrach. Diese verfluchte westliche Welt hielt ihre Waffen und Armeen bereit. Und sie wusste, dass sie nicht mehr lange warten würden und ihre Drohungen wahr machen würden. Aber noch hatte sie nicht verloren.
„Das ist alles seine Schuld…“
„Was meinen Sie?“ Simon stellte sich neben sie.
„Leopold von Werken. Er und seine Rebellen haben mir alles kaputt gemacht.“
„Das ist Ihr Problem. Mein Problem ist, dass ich meine Forschungsarbeit nicht beenden kann ohne dieses Kind. Sein genetischer Code ist das Schlüssel für die Perfektionierung der Androiden.“
Simon hatte langsam kein Verständnis mehr für die Unfähigkeit der Präsidentin. Aber er verstand auch, dass sie sich in einer schwierigen Position befand. Sie war der einzige feste Stein in einem System, das wackelte. Wem konnte sie noch trauen? Ihr eigener Stab hatte vor einigen Monaten versucht sie zu ermorden. Und gestern Abend erst hatte man ihr erneut nach dem Leben getrachtet. Doch ihre Leute hatten es verhindert und dabei einen außerordentlichen Fang gemacht.
„Wir haben gestern die Anführerin der örtlichen Rebellen festnehmen können.“
„So?“
„Simon, glauben Sie mir, ich finde das Kind. Denn ich glaube sie weiß wo es ist.“
„Das hoffe ich für Sie. Denn so langsam läuft uns die Zeit davon. Diese Rebellin sollte besser kooperieren. Wir brauchen die Informationen.“
„Ich denke jedoch nicht, dass sie es uns sagen wird.“
Simon sah die Frau verwirrt an.
„Was? Aber …“
„Ich habe eine Entscheidung gefällt. Es ist an der Zeit, dass ich energischer gegen diese Rebellen vorgehe. Ich hatte immer Angst, dass unsere Leute nicht kämpfen würden, schließlich sind es ja unsere Bürger, unsere Brüder und Schwestern, die auf der anderen Seite stehen. Aber ich glaube, es geht nicht anders. Ich werde die Rebellen bekämpfen mit allen Mitteln. Und ich beginne mit der Exekution der Anführerin. Öffentlich.“
„Das kann nicht Ihr Ernst sein… Das bedeutet Bürgerkrieg.“
„Ja, und ich hoffe, dass wir alle von Ihnen ausrotten. Ich wollte diesem Land helfen, so rein und stark zu werden wie es sein soll. Wenn sich jemand in unseren Weg stellt muss er mit dem Tod rechnen.“
Simon sah eine Entschlossenheit im Gesicht der Frau, wie er in den letzten zwei Jahren oft vermisst hatte. Womöglich wandelte sie sich jetzt wirklich.
„Ich hoffe Sie haben Erfolg. Sagen Sie, wer ist diese Anführerin? Kenne ich sie vielleicht?“
„Ich weiß nicht, aber sie heißt Silke Obermeier. Und heute ist ihr letzter Tag auf Erden.“
Ja, Laura Ewert machte Versprechen. Und obgleich sie nicht besonders gut darin gewesen war diese einzuhalten, war sie voller Euphorie es dieses Mal besser zu machen. Ja, dieses Mal würde sie ihr Versprechen nicht brechen.
„Waffe ist ausgerichtet. Kamera läuft.“, sagte der Soldat am PC und nickte Laura Ewert zu. Die sah zufriedenen Blickes durch das Panzerglas auf das armselige Wesen, das auf dem Stuhl saß. Gleich würde der jämmerliche, schwache und alte Körper zusammenzucken, ausbluten und leblos im Stuhl verharren.
„Sie haben noch ein letztes Wort, Frau Obermeier.“, sagte Laura durch das Mikrofon.
„Fahren Sie zur Hölle!“
Damit besiegelte Silke ihr Schicksal.
„Feuer!“
Der Schuss fiel, Blut spritzte und ein kläglicher Schrei ertönte. Dann war es ruhig.
Silke Obermeier war erschossen worden. Live vor der gesamten Welt …
Jakob Winter zuckte angewidert zusammen während Susanne sich die Augen zuhielt. So etwas Grausames hatten sie dieser Regierung nicht zugetraut.
Riverview hatte sich verändert. Aus dem schönen, grünen Städtchen wurde ein Ort des Bösen, der Unterdrückung und des Todes. Kaum jemand traute sich unbehelligt auf die Straße, und die, die es doch taten, waren sehr wachsam…
Rüdiger hörte jemanden schluchzen. Er sah auf die Uhr. Gleich würden sie wieder patrouillieren. Er musste nach Hause. Gerade, als er gehen wollte, hörte er das Schluchzen erneut. Er stutzte, als er eine Frau in einer engen Gasse weinen sah.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte er und ging auf die verängstige Person zu.
„Ich .. ich komme schon klar.“, sagte sie in einem leichten, französischen Akzent.
„Sind Sie sicher? Ich meine, sie sehen schlecht aus… äh … ich meine traurig. Nicht schlecht. Sie sind hübsch… äh … sehen gut aus, von den Kleidern.“
Die Frau fing während des Weinens leicht zu lachen an und lächelte Rüdiger an.
„Schon gut … ich .. ich bin nur so durcheinander…. Tut mir leid…“
„Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Aber, kommen sie. Ich muss nach Hause, mein Kind ist allein. Ich habe heiße Schokolade zu Hause. Das wird Ihnen gut tun, das verspreche ich Ihnen.“
„Danke …“ Die Frau überlegte kurz, sah aber dann dieses naive, runde Gesicht und nickte schließlich.
„Ich wohne gleich um die Ecke.“
Ja, wir all versprechen Dinge. Und wenn wir sie halten wollen, müssen wir einiges aus Spiel setzten. Doch die Frage bleibt, ob wir das Spiel gewinnen können …