Das sich heutzutage noch jemand traut, so einen Film zu drehen ist schon ein starkes Stück - Vorraussetzung dafür ist wohl das seltsame Verlangen nach Unterhaltung in jedem Film, egal ob er dazu taugt oder nicht. Statt einer sinnvollen Auseinandersetzung degeneriert "The Green Mile" somit zu einem gedankenlosen Massenprodukt, das zudem noch mit längst veralteter "Law and Order"-Rhetorik aufwartet.
[...]
Am härtesten trifft aber die vermeintliche Moral. Mit einer "Humanitätsparabel" hat der Film nichts gemein. Die meisten Betrachter stolpern etwas über die Messias-ähnliche Darstellung von Coffey - doch welche Implikationen sich daraus ergeben, bleibt unbeachtet. Zählt man Eins und Eins zusammmen, so tritt Erstaunliches zu Tage:
Was Percy bei der Hinrichtung veranstaltet wird in den übelsten Farben ausgemalt - dagegen erscheint die normale Hinrichtung geradezu wie ein humanitärer Dienst an der Menschlichkeit. Überhaupt: Die Hinrichtung mit einer Dauer von 2 Minuten und mit pyrotechnisch wertvollen Stichflammen ist böse, aber die Hinrichtung mit einer Minute Dauer ohne Stichflamme ist alltäglich, richtig und gut, schon allein weil die Strafe von einem ordentlichen Richter verhängt wurde. Coffey, mag der weniger geneigte Leser einwenden, ist aber doch nun genau die Aufhebung dieser angeblichen Doppelmoral. Kaum, denn dieser spezielle Fall hat seine eigenen Gesetze. Man mag von den ganzen paranormalen Elemeneten halten was man will, unübersehbar ist Coffey mit übernatürlichen Gaben ausgestattet, und zwar anscheinend nur mit guten. Durch Hand auflegen kann er heilen, durch Ruhe und Besinnung findet er neue Kraft. Coffey spricht von dem vielen Leid auf Erden, dass andauernd geschieht, und in der klassischen Tradition der Selbstjustiz ergibt sich für ihn nicht das geringste Problem daraus, die bösen Menschen zu töten. Wirklich perfide ist an diesem dramaturgischen Schachzug, dass Coffey somit tatsächlich zum Mörder wird. Somit kann Edgecomb hintergründig von Gewissensbissen befreit werden - der Tod ist auch für Coffey verdient.
[...]
In diesem fahlem Licht betrachtet bleibt eigentlich nichts mehr, was den Film auszeichnet, und vieles, was ihn enorm zweifelhaft, wenn nicht sogar verwerflich erscheinen lässt. Unangemssene Unterhaltungselemente, ernste Thematik, paranormale Erscheinungen und verschachtelte, doppelbödige Moral ergeben eine Mischung, die jeden guten Ansatz völlig erstickt.
Paranormale Freakshow mit perverser Moral.