Es war ein ganz gewöhnlicher Dienstag Morgen, an welchem ich mich schlurfend durch den Reitstall bewegte und am liebsten in eine warme Box gefallen wäre und nur für fünf Minuten meine Augen geschlossen hätte. Aber das durfte ich mir natürlich keinesfalls erlauben und so lief ich gähnend weiter und schlürfte nebenbei eine heiße Tasse Kaffee.
Genussvoll spürte ich wie die heiße Flüssigkeit meine Kehle hinabfloss und mein Innerstes ein wenig erhitzte. Für einen Moment zumindest. Im nächsten Moment tat es das aus einem vollkommen anderen Grund.
Ein kleiner Mini Cooper fuhr auf den Parkplatz und ein mir wohlbekannter Mann stieg aus und ließ die Autotür geräuschvoll zuknallen. Ich beobachtete ihn dabei, wie er seinen Autoschlüssel in seiner Tasche verstaute, doch nach einiger Zeit bemerkte ich, dass er seinen Autoschlüssel schon längst eingesteckt hatte. Aus seiner Tasche zog er ein paar Papiere und etwas, dass wie ein Umschlag aussah, dann hob er den Blick und sah mich sofort. Mein Gesicht strahlte und auch Tristans Gesicht leuchtete.
„Morgen“, schmunzelte er, als er mich mit einem liebevollen Kuss begrüßt hatte. Ich schmiegte mich an seine Brust, um seine Wärme irgendwie in mich aufzunehmen.
„Was für eine wunderbare Begrüßung, du benutzt mich also als menschliche Heizung“, spottete er und schlang die Arme, samt den merkwürdigen Unterlagen um meinen Körper.
„Du bist halt multifunktionell. Das kann nicht jeder sagen. Solltest du nicht bei der Arbeit sein?“, fragte ich ihn und löste mich langsam aus seiner Umarmung. Er grinste breit.
„Ich habe heute morgen gekündigt.“
„Du hast WAS??!?“, rief ich aufgebracht. Tristan grinste nur breiter und suchte in seinen Unterlagen anscheinend nach dem richtigen.
„Sieh mal was ich noch mitgenommen habe, bevor ich gegangen bin. Ein klasse Angebot in Spanien, vier Sterne Hotel, direkt am Meer gelegen. Ich dachte wir können es uns da für zwei Wochen bequem machen, außerdem…“
„Moment!“, stoppte ich seinen Redefluss und versuchte mich zu sammeln „verstehe ich das richtig? Du hast heute morgen deinen Job gekündigt und nebenbei noch dieses klasse Angebot gefunden, wo du nun mit mir hinwillst?“ Er hob belustigt beide Augenbrauen in die Höhe und nickte dann.
„Wie kommst du darauf? Ich meine, was soll die Sache mit deinem Job?“, fragte ich aufgebracht.
„Ach, Leila. Bleib mal locker. Der Gedanke ist mir schon die ganze Zeit durch den Kopf geflogen und irgendwas musste sich ja mal ändern. Es hat sich alles nur im Kreis gedreht und dann ist mir diese Idee gekommen etwas vollkommen neues zu machen.“
„Und was wäre das?“, fragte ich weiter.
„Weiß ich noch nicht. Ich dachte mir die Zeit um darüber nachzudenken habe ich, wenn ich die nächsten zwei Wochen mit dir in Spanien verbringe“, grinste er triumphierend, doch in mir brodelte es gewaltig. Es war zwar sein Leben und er konnte kündigen wo immer er wollte, aber ich hatte das blöde Gefühl einen vollkommen fremden Menschen vor mir zu haben. Jemand der nicht an die Zukunft dachte, der ausschließlich im jetzt lebte. Was würde einmal sein, wenn ich ihm langweilig werden würde? Würde er dann ebenso schnell mit mir abrechen wie mit seinem Job?
„Das kannst du vergessen“, sagte ich wütend und wandte mich kopfschüttelnd ab. Ich konnte ihm jetzt nicht in die Augen sehen, die mir plötzlich Angst machten.
„Hey, Leila, warte doch“, rief er und packte mich am Arm.
„Tristan, ich kann nicht eben mal kurz für zwei Wochen nach Spanien mit dir. Ich habe hier ebenso Verpflichtungen, die ich nicht wegschmeißen kann und ich habe plötzlich das Gefühl, als stünde jemand vollkommen anderes vor mir. Was ist nur los mit dir? Warum plötzlich diese Hektik! Ich verstehe dich einfach nicht!“
Er sah mich an und sein Blick war unverständlich, als spräche ich eine vollkommen andere Sprache als er und ich würde mir wünschen, dass es nur das wäre.
„Leila, wenn du nicht willst ist das in Ordnung. Aber ich musste es einfach tun, für mich“, sagte er leise und nahm meine eiskalte Hand in seine, drückte sie zart und zog mich sanft in seine Arme.
„Warum? Warum musstest du das tun?“, flüsterte ich in seine Brust und atmete seinen so typischen Duft tief ein.
„Ich… ich kann es dir nicht erklären. Bleib einfach nur bei mir, okay? Ich brauche dich, mehr als jeden anderen“, hauchte er in mein Haar und tupfte kleine Küsse auf meine Stirn. In mir baute sich eine Traurigkeit zusammen, die durch seine Küsse nur verschlimmert wurde.
Da war etwas was er mir nicht sagen wollte, etwas was mit der Kündigung zusammenhing, aber ich wusste einfach nicht was es war. Doch ebenso deutlich nahm ich die Entscheidung wahr, die ich zu treffen hatte. Ich musste ihm vertrauen oder ihn verlassen, sonst konnte es nicht funktionieren. Plötzlich kam mir seine komische Reaktion ins Gedächtnis, als wir diesen Ausflug unternommen hatten. Ja, da war definitiv etwas was er mir nicht sagen konnte. Aber war es denn mein Recht zu verlangen, dass ich es wissen musste? Natürlich nicht. Und eine Beziehung bestand zum großen Teil aus Vertrauen. Vertraute ich ihm wirklich genug? Die Antwort kam so schnell, dass es mich selbst überraschte.
„Ich brauche dich auch, obwohl du für mich ein großes Rätsel bist, Mr. Marx“, seufzte ich und drückte mich fester an seine Brust.
„Trotzdem kein Spanien?“, fragte er leise und ich musste schmunzeln.
„Irgendwann mal ja, aber nicht im Moment, obwohl ich mir nichts schöneres im Moment vorstellen könnte, als mit dir an einem Pool zu liegen, während die Sonne meine Haut verbrennt“, schwärmte ich und hörte plötzlich wie jedes kalte Glied in meinem Körper lautstark aufschrie.
„Schade, dann muss ich mir eine andere Frau suchen, die mit mir angeben darf“, grinste er und fing sich im nächsten Moment einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf.
„Du bist wirklich unglaublich“, lachte ich fassungslos, worauf er seine Hände meinen Rücken entlang fahren ließ und mich fester an sich drückte, so dass mein Herz in meiner Brust zu zerbersten drohte.
„Du auch und deswegen komm ich kaum mehr los von dir“, hauchte er bevor unsere Lippen ineinander verschmolzen.
Im tiefsten Winter wurde mir in diesem Moment so warm, als befänden wir uns unter der heißen Sonne in Spanien.
*
Ein Besuch bei meinen Eltern war immer etwas besonderes. Wenn ich in dem schönen, kleinen Haus im Süden Simcitys ankam fand ich immer wieder etwas neues im Garten vor, an dem mein Vater gearbeitet hatte, denn seit er in Rente gegangen war war er kaum mehr zu halten, wenn es darum ging etwas neues zu bauen und zu entwerfen. Oftmals ging er damit meiner Mutter gehörig auf die Nerven, ich für meinen Teil fand es einfach nur unglaublich lustig.
Meine Mutter stellte gerade die große Schüssel dampfende Suppe auf den Tisch, als sie wieder anfing in die Richtung meines Vaters zu wettern.
„Vor einer Woche kam er mit der mit der komischen Idee, dass wir jetzt Strom über die Solarkraft schöpfen sollten, hier in Simsland. Verrückt.“
„Der Solarkraft gehört die Zukunft, Schatz“, sagte mein Vater und schöpfte einen Löffel Suppe aus der Schüssel in seinen Teller.
„Sicherlich, aber lass das doch jemanden machen der sich damit auskennt, Terence“, antwortete meine Mutter und lief kopfschüttelnd in Richtung Küche.
„Ich sage euch Kinder, eure Mutter hat keinen Sinn für die Zukunft, für sie soll alles so bleiben wie es ist, wenn es nach ihr ginge würde sie zum nachrichten schauen noch ins Kino gehen“, schmunzelte er.
„So alt bin ich auch wieder nicht“, rief meine Mutter zu uns hinüber. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und begann die leckere Suppe meiner Mutter zu schlürfen.
„Wie läuft es bei deiner Arbeit, Francis?“, fragte mein Vater meinen Bruder. Francis lebte nicht in Simcity, sondern in Donster mit seiner Verlobten und seinem zweijährigen Sohn. Wenn er es mal nach Simcity schaffte, dann war es nur für einen Tag und selbst das kam selten vor. Seine Verlobte hatte ich gerade zwei mal gesehen und das war mir auch lieber so, denn sie war eine Hochnäsige, verzogene Gestallt, die niemand in unserer Familie so richtig mochte. Doch Francis liebte sie und da es Mum und Dad nicht akzeptieren konnte hatte er sich immer weiter von uns abgegrenzt. Jedoch blieb mein Verhältnis zu meinem Bruder gut, da wir es doch oft schafften miteinander zu telefonieren und er an meinem Geburtstag immer einen Abstecher nach Simcity machte. Liebe machte nun mal blind, wie sollte ich ihn dafür verantworten?
„Gut, es macht Spaß und die Patienten sind erträglich“, erklärte er. Francis war Zahnarzt und ein wirklich guter in Donster, das war wohl der Grund warum er eine so bildschöne, aber strohdoofe Freundin bekommen hatte, denn er verdiente nicht schlecht.
„Gut, gut, so soll es sein“, nickte mein Vater und schlürfte weiter seine Suppe.
„Was ist mit dir, Leila?“, rief meine Mutter aus der Küche, aus welcher sie nun mit geschnittenem Brot hervor kam. „du arbeitest immer noch auf diesem Reiterhof?“
„Ja, das wird sich wohl so schnell nicht ändern, obwohl es anstrengend ist macht es Spaß.“
„Ja, du hast den Umgang mit den Tieren immer gemocht“, seufzte meine Mutter und strahlte mich an. Ich lächelte zurück und griff nach einem Stück Brot. Mutter hatte es nie verstanden wie ihre intelligente Tochter es nur zu einer Reitlehrerin machen konnte, sie hatte sich so viel mehr von mir versprochen, aber sie hatte akzeptieren müssen, dass es nichts anderes gab was ich tun wollte.
„Leila erlernt auch gerade den Umgang mit Menschen neu“, grinste Francis und ich warf ihm einen wütenden Blick zu, worauf er nur weiter breit grinsend in seine Suppe starrte.
„Was meinst du, Schatz?“, fragte meine Mutter hellhörig.
„Nichts, es geht mich ja rein gar nichts an und Leila wird es euch sicherlich noch erzählen“, sagte er scheinheilig und ich hätte ihn am liebsten mit meinen Barbies beworfen wie ich es früher immer getan hatte, wenn er mich wieder einmal verpetzt hatte.
Nun blickten mich meine Eltern beide fragend an und außer Francis aß niemand mehr.
„Ich habe jemanden kennen gelernt, Mum“, rückte ich schließlich mit der Sprache raus und sah sie an. Man sah richtig die Verwandlung in ihrem Gesicht, das strahlende Lächeln und die funkelnden Augen trafen die verstörten Augen meines Vaters.
„Oh Liebling, das ist wunderbar. Erzähl schon! Wie ist er so? Sieht er gut aus?“, freute sie sich euphorisch. Zähneknirschend überlegte ich mir tausend Foltermethoden für meinen zwei Jahre älteren Bruder, dieser freute sich gerade unmenschlich und sah mich nun fragend an. Ich wusste, dass es ein Fehler gewesen war ihm alles am Telefon zu erzählen!
„Na ja, er heißt Tristan“ und ist arbeitslos, weil der Dummkopf zwei Wochen nach Spanien mit mir wollte, fluchte ich innerlich „und wohnt ebenfalls in Simcity. Kennen gelernt haben wir uns über den Reitstall, er hat dort für seine Nichte ein Pferd gekauft. Es ist noch nichts richtig festes, wir kennen uns erst ein paar Wochen und es muss sich erst einmal richtig entwickeln“, fügte ich schnell dazu.
„Das ist wunderbar, ich möchte ihn so schnell es geht kennen lernen“, sagte meine Mutter und strahlte mich an. Das konnte ich Tristan unter keinen Umständen zumuten, sagte ich mir innerlich.
„Ich werde mit ihm sprechen, aber er ist in letzter Zeit sehr beschäftigt und es kann etwas dauern bis…“
„Du solltest Leila nicht gleich so überrumpeln, schließlich müssen die beiden ihren Platz erst noch finden, wer weiß ob es überhaupt länger hält“, sagte mein Vater und lächelte mir aufmunternd zu. Das war wieder einmal typisch. Wenn ich einen Freund hatte wurde immer gleich Pessimismus verbreitet, als wenn ich es nicht schaffen könnte einen Mann länger an mich zu binden! Immerhin war ich es gewesen, die die Männer von sich weggehalten hatte, ich hätte durchaus einen Freund haben können, wenn ich es gewollt hätte, aber ich hatte mir gerne Zeit gelassen.
„Unsinn, Leila weiß selbst wann sie ihn mitbringen kann und wann nicht, außerdem ist ein Besuch bei den Eltern doch kein Merkmal um ewig zusammen zu sein. Nicht wahr, Liebling?“
„Mum, ich bin mir nicht sicher, ob das in nächster Zeit hinhauen wird.“
„Natürlich nicht sofort, aber was hältst du von Weihnachten? Hattet ihr zwei nicht geplant zusammen zu feiern?“
Weihnachten! Verdammt, ich wusste da war noch etwas gewesen. Ich hatte mit Tristan noch überhaupt nicht darüber gesprochen, aber ich wusste nicht einmal ob er da sein würde. Gemeinsam Weihnachten zu feiern glich doch schon einer Familienplanung oder einem Verlobungsantrag und ich wusste nicht, ob unsere Beziehung dazu schon bereit war, schließlich würde er so entscheiden in unsere Familie integriert werden. Jeder würde ständig fragen, wo denn dieser hübsche junge Mann war, der letztens dabei gewesen war. Aber es blieben uns nur noch einen knappen Monat Zeit darüber nachzudenken.
„Lass mich erst mit ihm sprechen, ja? Ich verspreche dir, dass ich dich sofort einweihen werde, wenn es etwas neues gibt. Abgemacht?“, fragte ich und es klang beinahe schon bettelnd. Ich wollte mit dem Thema einfach nur in Ruhe gelassen werden.
„Sicher. Aber lass mich nicht wieder alles über Francis erfahren, sprich auch mal mit mir über so was“, sagte sie beleidigt und ich verdrehte unbemerkt die Augen. Francis würde dafür noch leiden! Dieser lachte sich neben mir ins Fäustchen und kaschierte das gut durch ein Räuspern.
„Suppe noch jemand?“, fragte er grinsend und ich blickte ihn wütend an, worauf er nur fragend die Augenbrauen hob.
„Danke, ich habe genug“, presste ich zwischen meinen Zähnen hindurch. Er lächelte nur und zuckte dann mit den Schultern.
„Schmeckt wirklich ausgezeichnet, Mum“, schwärmte er und schaufelte sich erneut einen Teller voll.
„Pass auf, dass du nicht erstickst, Brüderchen“, flüsterte ich ihm zu, als meine Mutter gerade mit meinem Vater sprach.
„Ach Leila, das war doch nur ein Spaß, wenn er dir nichts bedeuten würde, hättest du mir am Telefon nicht so die Ohren vollgeschwärmt, warum sollten nicht alle anderen auch ein wenig Anteil an deinem Glück haben. Mum meint es doch nur gut, ebenso wie ich“, sagte er ernst. Ich atmete schwer aus und sah in meinen leeren Teller hinein.
Weihnachten mit Tristan bei meiner Familie. Das würde doch schrecklich werden. Tante Kathrine würde ihn über ihr ganzes Gesundheitsbild aufklären, bis ihm schlecht werden würde, während meine Oma ihn ständig durchs Haar wuseln würde, nur weil sie so lange schon keinen jungen Mann mehr zum anfassen gehabt hatte. Meine Mutter würde Tristan den ganzen Abend scheinheilig über mich ausfragen, um dahinter zu kommen was er nun wirklich von mir hielt und ob ihm zu trauen war. Er würde sich vorkommen wie bei einem Kreuzverhör, während mein Vater ihm mit seinen neu gebauten Sachen langweilen würde.
Francis Frau würde mit ihren Allüren wieder schlechte Stimmung verbreiten, während Dougal, Francis Sohn, alle zerbrechlichen Sachen durch die Gegend schmeißen würde. Ich liebte meine Familie, weil ich mit ihr aufgewachsen war und sie akzeptierte, aber konnte Tristan das auch?